Vom Youthquake und seinen Nachbeben

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Twiggy in Betsey Johnson, British Vogue 1966, Foto David Bailey; Lauren Hutton in einem „Glue it Yourself dress“, ebenfalls Betsey Johnson, LIFE, 1966. Fotograf unbekannt.

Die Ausstellung mit dem Titel Youthquake! The 1960s Fashion Revolution, derzeit am FIT zu sehen, beschäftigt sich mit einem wichtigen Wendepunkt der Mode, der Medien und der Kultur: die Jugendrevolution der Sechziger Jahre. Von einer Gesellschaft, in der das Establishment das Sagen hatte, wandelte sich beinahe schlagartig alles hin zu einem Massenmarkt dominiert von Teens und Twens, eine Veränderung, die selbst die Haute Couture transformierte.

Obwohl dem Youthquake schon in den Fünfzigern eine Revolution der Jugend vorangegangen war, thematisiert in Filmen wie Rebel without a Cause oder The Wild One, war London in den 60ern dennoch das Epizentrum der kulturellen Revolution, die das Gesicht der Mode, der Werbung und des Konsums für die nächsten Jahrzente verändern sollte.
Mods, Beatniks, wenig später Hippies, Mary Quant und schockierend kurze Rocksäume waren die Symptome einer Veränderung, die viel tiefer lag. Teenager rebellierten gegen die Traditionen und überkommenen Ansichten ihrer Eltern und der Gesellschaft, in der sie lebten. Sie sahen die gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, technologisch-wissenschaftliche Veränderungen und einen sinnlosen Krieg, der ihre Freunde das Leben kostete. Im Gegensatz zu den Jahrzehnten zuvor verfügten sie jedoch über die monetären Mittel und die Freiheit, ihr Geld auszugeben, wie sie es für richtig hielten. Eine Uniform der Andersartigkeit war geboren.

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Kleid von Harry Gordon 1967, Twiggy inspirierte Strumpfhosen ca. 1967-68

Twiggy, das mädchenhafte Model mit den langen Wimpern und Minikleidern wurde zum Aushängeschild dieser Generation, die ihren Widerspruch gegen die Ungerechtigkeit ihrer Welt unter anderem durch Kleidung ausdrückten. Lange Haare für Männer und Pixie-Haarschnitte für Frauen rüttelten an althergebrachten Konventionen wie ein Mann oder eine Frau auszusehen habe, und Miniröcke fochten einen Kampf um Selbstbestimmung weiblicher Körper auf einem deutlich sichtbaren Level aus.

Die Ausstellung zeigt unter anderem Stücke von Mary Quant in London, Harry Gordon’s A-Linien Kleid mit einem Foto von Bob Dylan, und Betsey Johnson für Paraphernalia in New York. Die körperfernen Schnittmuster dieser Mode begünstigten weiter die massenhafte Produktion der Kleidung und ermöglichten somit eine sehr demokratische Verbreitung der Mode, die sich jeder leisten konnte.

Noch heute sind der Musikmarkt, die Kosmetikbranche und die Modeindustrie von all diesen Veränderungen stark beeinflusst, und speziell das ideale Körperbild der Frau wandelte sich zu dem des beinahe knabenhaften Models, begonnen mit Twiggy und gipfelnd in Kate Moss. Die Nachbeben des Youthquake änderten Schauspieler/innen, die immer jünger zu werden scheinen: Dakota Fanning, Emma Watson, Justin Bieber, Elizabeth Olsen, Tavi Gevinson und zahlreiche weitere junge Nachwuchstalente sind die neuen Gesichter der Entertainmentindustrie, und der Modeanzeigen, lange bevor sie Erwachsenenalter erreichen.
Doch zeichnen sich auch Gegenströmungen ab. Doves Werbekampagnen mit weniger perfekten, reiferen Frauen, Brigittes Ansatz, „echte“ Frauen als Modelle zu benutzen, Schauspielerinnen wie Kate Winslet, die digital nachbearbeitete Bilder von sich nicht veröffentlichen lässt, und Großbritanniens Verbot zu stark gephotoshoppter Models in Werbeplakaten – es scheint sich ein, wenn auch zaghafter, Gegentrend zum bedingungslosen Jugendideal abzuzeichnen.

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M.A.C. Kampagne mit Iris Apfel, Debra Rapoport auf Advanced Style

Zuletzt die neue Linie der Kosmetikfirma M.A.C., die mit dem Gesicht der über 90-jährigen Iris Apfel wirbt. Designer machen sich Gedanken über Mode im Alter, Modeblogs, wie beispielweise Advanced Style in den USA oder Anders-Anziehen in Deutschland fordern das gängige Schönheitsideal heraus und zeigen wie modisch und mutig Frauen (und Männer) in fortgeschrittenen Alter sein können.
Meryl Streep, 62-jährig, zierte das Cover der US Vogue im vergangenen Januar, als ältestes Covermodell in der Geschichte des Magazins.
Der Trend, falls es einer ist, wäre sinnvoll: Die Gesellschaft hat sich verändert, speziell in Europa wird die Bevölkerung immer älter, mit zurückgehenden Geburtenraten. Senioren haben Zeit und Geld und stellen eine wachsende Bevölkerungsschicht, zudem sind sie aktiver als je zuvor, geben mehr Geld für ihr Äußeres, Reisen und Gesundheit aus.
So wie die 60er nach einer Jugendrevolution verlangten, so scheint sich für die 2010er eine Kehrtwende, ein Umdenken von einem bedingungslosen Jugendwahn abzuzeichnen.