Die verlorene Aussage, oder: das Ende der Mode?

I shop, therefore I am. Barbara Kruger.

„I shop, therefore I am“, Barbara Kruger.

Kürzlich, in einem Gespräch mit  Freunden, in welchem es um Mode ging, kam folgende Frage auf: was hat die Mode heute noch zu sagen? In der Vergangenheit, so einer meiner Gesprächspartner, sei die Mode stets der Gesellschaft vorausgeeilt.
Nun suche sie immer wieder Zuflucht in „Retro“ und „Vintage“, verliere sich in ewigen Neuauflagen der Vergangenheit. Doch dies seien letzten Endes nur Euphemismen für ein und dasselbe Problem: die Mode tue nichts mehr für die Menschen, außer – so wandte ich scherzhaft ein – zu verursachen, dass er sich zu fett fühle. Doch warum ist das so, warum trifft die Mode im 21.Jahrhundert keine Aussagen mehr? Eine Spurensuche. 

Vor etwa hundert Jahren, 1911, entwarf Paul Poiret die Harem Pants, auch „Jupe-culotte“ genannt, eine orientalisch inspirierte Schöpfung irgendwo zwischen Rock und Hose – damals eine wahrhaft schockierende Neuheit, aus mehreren Gründen. Erstens: Frauen trugen damals keine Hosen; Bein zu zeigen, den Körper der Frau derart abzuformen war eine unerhörte Obszenität, man fürchtete die „Vermännlichung der Frau“. Zweitens: die Harem Pant griff die neue Faszination mit dem Orientalischen auf, die das Ballet Russe initiiert hatte, und das Ballet Russe war ein Anschlag auf die politischen und sozialen Normen der Zeit. Drittens: Orientalismus als Chic zu verkaufen, hieß auch, Zweifel an der damals herrschenden Meinung zu äußern, dass der Westen allen anderen Kulturen überlegen sei. Die Haremhose Paul Poirets war also dreifach politisch aufgeladen: geschlechterpolitisch, kulturpolitisch und geopolitisch.

Ballet Russes

Ballet Russes

harem-pants-poiret

Auch Coco Chanel nutzte die Macht des ethnischen-inspirierten Designs um Dissent auszudrücken; war, wie man in Coco und Ivan sehen konnte, eng mit dem Ballet Russes verbandelt. Doch ihre bahnbrechende Aussage traf sie etwas, wenn auch nicht viel, später mit dem Einsatz vorher als minderwertig betrachteter Materialien. Coco Chanels wahre Errungenschaft war nicht das kleine Schwarze, sondern ihre Herangehensweise an Materialien: unechte Perlen, chemische Inhaltsstoffe in ihrem Parfüm und Jersey waren die wahren Neuheiten eingeführt unter Mademoiselle. Sie nivellierte den qualitativen Unterscheid zwischen teuer und billig – und auch wenn ihre Kreationen nicht für Jedermann leistbar waren, H&M und Zara verdanken es zu einem nicht geringen Teil ihr, dass sie heute bei den Großen mitspielen dürfen, dass günstig auch chic sein kann. Sie sah damit große gesellschaftliche Umwälzungen hervor, die das Wirtschaftswunder in der Nachkriegszeit mit sich bringen würde.

* Coco Chanel wearing a jersey suit in Biarritz, 1928. Shot by Roger-Viollet.

* Coco Chanel wearing a jersey suit in Biarritz, 1928. Shot by Roger-Viollet.

Dann kam Yves Saint Laurent. Er nahm die letzte große Hürde und steckte die Frau in einen Smoking, verwandelte die Kunstwerke Mondrians und van Goghs in Kleidungsstücke, fabrizierte eine Kollektion zu scheinbar jeder Kultur – die Vielfalt, die er schuf übersetzte den Aufruhr des Civil Rights Movements und des Feminismus seiner Lebzeiten in Stoff.
In den 80ern erlebte die Mode ihre nächste große Rebellion, als die Japaner, allen voran Rei Kawakubo, die Schneiderei, und die vermeintlich einzig wahre – ergo westliche- Ästhetik auf den Kopf stellten. Ein letztes Wetterleuchten bescherte uns Alexander McQueen, dessen Kollektionen die Macht besaßen, die Welt auf den Kopf zu stellen, oder zumindest neu zu überdenken.
Doch seitdem? Es scheint, die Mode stecke fest, klopfe vergeblich gegen eine Glasdecke, die bereits abgeschafft scheint.

Yves Saint Laurent

Yves Saint Laurent

Vielleicht ist genau das das Problem. Ähnlich wie der Feminismus, so scheint sich auch die Mode in einem angenehmen, aber ungerechtfertigten, Mittagsschläfchen zu befinden. Mit vermeintlich keinen gravierenden Problemen mehr, gegen die es in dieser westlichen Konsumgesellschaft zu kämpfen gibt, kann sie sich bequem dem Kapitalismus hingeben, sich zwitterhaft immer wieder von ihrer eigenen Formensprache befruchten lassen und dem süßen Nichtstun frönen, während das Online-shopping den Rest besorgt.

Punk Ausstellung im Metropolitan Museum New York

Punk Ausstellung im Metropolitan Museum New York

Vielleicht gibt es nach Punk, nach Strukturalismus, nach der Postmoderne, der ultimativen Dekonstruktion, einfach nichts mehr zu sagen?
Sind wir eine verlorene Generation, oder besser, ist uns die Macht der Formulierung, der Zielsetzung verloren gegangen? Selbst die (Leit-)Medien, wie es Meredith Artley, Managing Editor von CNN neulich so pointiert darlegte, sind mehr interessiert an Klickzahlen und Auflagensteigerung als an investigativem oder mobilisierendem Journalismus.
Ähnlich wie bei dem kläglichen Ende der Occupy Wall Street Bewegung, das nach dem Winter einfach nicht mehr an Fahrt aufnehmen konnte, fehlt es der aktuellen Generation an einer klaren Agenda: nichts scheint mehr sicher, keine Zukunftspläne mehr schmiedbar, die Pluralität der Lebensentwürfe verhindert eine klare Entscheidung. Auch die Mode kann sich nicht auf eine deutliche Aussage einschießen, treibt sich eine Saison in den 40ern, eine andere in den 90ern herum und dreht Däumchen.

What Is our one demand? Occupy Wall Street Flyer

What Is our one demand? Occupy Wall Street Flyer

Nun fehlt natürlich ein Lösungsvorschlag dieses Dillemmas: Ökorrektes, 3D-Print, Wearables könnten die Entwicklungsfelder der Zukunft zu sein. Doch allen drei mangelt es an Potential, was politische und soziale Kritik angeht – sie sind keine Revolution, sondern lediglich eine Kontinuation des Status Quo.
Sind alle Schlachten der Mode geschlagen? Ist die Zeit der kritischen Mode ein für allemal vorüber?
Natürlich nicht.
Aber es wird höchste Zeit, dass sie ihre Stimme wiederfindet.