Berlins vergessene, goldene Zeiten

Collage Hannah Höch, Aquarell Lieselotte Friedländer
Modeillustration der 20er Jahre

Während in Paris die Haute Couture beheimatet ist, und jedem sofort Designernamen wie Chanel, Dior und Yves Saint Laurent einfallen, bleibt Berlin immer die Stiefschwester der Modestädte. Berliner Designer werden meist als jung und rebellisch wahrgenommen und erreichen selten den Berühmtheitsstatus der Pariser oder Londoner Modeschöpfer. Dabei hat Berlin eine lange Geschichte der Mode und Konfektion zu bieten, mit einer Glanzzeit in den Zwanziger Jahren.

In den goldenen Zwanzigern hatte sich in Berlin eine gut ausgebildete, handwerkliche Konfektionsbranche entwickelt, die in die ganze Welt exportierte. Zwar war Berlin in Sachen Innovation bei weitem nicht mit Paris zu vergleichen, doch auch hier, in der Modellkonfektion wurde hochelegante, sehr teure Kleidung in kleinen Stückzahlen angefertigt, die sich nur ein kleiner sehr begüterter Kreis von Kunden leisten konnte. Die Modelle waren nach Pariser Vorbild gestaltet und verarbeitet und bestanden aus luxuriösen Materialien wie Seide und Pelz. Modellkonfektion wurde in repräsentativ ausgestatteten Salons vorgeführt und verkauft, die den Pariser Couture-Salons in nichts nachstanden.“*

Vorführsalon Gerson um 1890
Berliner Vorführsalon Gerson um 1890

Darüber hinaus wurde in Berlin Kleidung in größeren Massen hergestellt und an die weniger Betuchten verkauft, es begann bereits hier die Demokratisierung des Modemarktes, die sich heute in Ketten wie H&M oder Zara fortsetzt und Trends vom Laufsteg in preiswerte Mode überträgt: Das modische Bewusstsein innerhalb Deutschlands war anders als jenes in Paris. Von der handwerklichen Qualität her konnten die Modelle der gehobenen Berliner Konfektion durchaus mit der Pariser Mode konkurrieren. Die Berliner hatten jedoch offenbar – speziell im Stapel- und Mittelgenre – ein etwas pragmatischeres Verhältnis zur Mode und übersetzten“ die Ideen der französischen Couture in eine alltagstauglichere Sprache.“* Auch den Vorläufer der Sweat-Shops, das sogenannte Schwitzsystem“ gab es bereits – wo günstige Mode, da Ausbeutung der Arbeitskräfte.

Die renommierten Berliner Modehäuser wie Nathan Israel (Spandauer Straße), Valentin Manheimer, Rudolph Hertzog und Herrmann Gerson (Werderscher Markt) verkauften die konfektionierten Kleider an Berlinerinnen und trugen so zum damals weltweit bekannten und oft kopierten, Berliner Chic bei. Rund um den Hausvogteiplatz saß damals das modische Herz der Stadt.

Volkswarenhaus Tietz am Alexanderplatz
Volkswarenhaus Tietz am Alexanderplatz

Persönlichkeiten wie Ernst Dryden, dessen Modelle von Grace Moore, Jane Wyatt und Marlene Dietrich getragen wurden, dessen Marke als Vorbild für Gucci oder Ralph Lauren diente, der für die Zeitschrift Die Dame“ tätig war und sogar eine Kollektion für Chanel entwarf – oder der Modeschöpfer Otto Haas-Heye, Marie Latz und Johanna König sind leider in Vergessenheit geraten.

Anprobe Marie Latz 1921
Anprobe bei Marie Latz

Ab 1918 fanden zweimal jährlich Berliner Modewochen statt, mit Modenschauen und Modetees; die Berliner Durchreise, eine Modemesse, die auch heute noch existiert, hat ihre Vorläufer in den Reisen der Textilhändler, die seit etwa 1850 in Berlin Halt machten, um dort ihre Stoffe zu verkaufen. Sie ist die älteste Modemesse der Welt.

Auch ein aufkommendes neues Frauenbild, das der Garçonne, entwickelte sich in der Zwanzigern und wurde von den Berlinerinnen übernommen. Der androgyne Garçonne-Stil übernahm männliche Kleidungselemente wie den Smoking und die Hose und hatte eine betont schlichte Gesamtwirkung. Weitere Attribute waren das Monokel, die Zigarettenspitze und der radikal kurze Eton-Haarschnitt.“*

Stil der 20er Jahre
Der Stil der Zwanziger Jahre – aus der Zeitschrift Die Dame

Vieles, was Berlin sich an Mode mühsam erarbeitet hatte, fiel der Weltwirtschaftskrise und der Arisierung unter den Nationalsozialisten zum Opfer. Die oft jüdisch geführten Konfektionsbetriebe und Kaufhäuser wurden zwangsverkauft und enteignet, wenn sie nicht schon an der schlechten Wirtschaftslage zugrunde gegangen waren. Die Berliner Modebranche konnte sich nicht, wie Paris, vom Zweiten Weltkrieg erholen, da zur gleichen Zeit, als Dior seinen New Look auf den Markt brachte und Mode wieder begehrlich machte, Berlin in zwei Teile gerissen wurde und als Modestandort nicht mehr erreichbar war.

Erst seit 20 Jahren kämpft Berlin wieder um eine Position ganz vorne unter den Modestädten – und für diese kurze Zeit ist schon viel geschehen. Ob die Stadt zu ihrem alten Glanz zurück finden wird, oder ihr altes Selbst gar schon überholt hat – Modewochen, Messen und Designer, selbst der Berliner Chic, sind zurückgekehrt – und ob sie Paris und London einholen kann, wird sich zeigen.

* Dank an Nora Fiege für die Bereitstellung ihrer Diplomarbeit „Berliner Mode und Konfektion in den 1920er Jahren – Neue Kleider für Neue Frauen?“

Zum Thema
Berlin – Eine Modestadt will nach oben (2007)