Leipziger Baumwollspinnerei – from Cotton to Culture

Leipsziger Baumwllspinnerei

Leipsziger Baumwllspinnerei, 1884

Leipzig wurde kürzlich in „Hypzig“ umbenannt und zum „neuen Berlin“ erklärt. Vor allem für Kreative bietet die Stadt gute Voraussetzungen. Übersichtlich, aber nicht zu provinziell, zieht es künstlerische Idealisten in die durchaus noch bezahlbare Stadt in Sachsen. Es ist nicht das erste Mal, dass Leipzig sich als Ort für Innovation und Erfindungsreichtum hervortut. Schon vor der Jahrhundertwende, um 1880, entstand in Leipzig eine moderne Fabrikanlage, die es so in Kontinentaleuropa noch nicht gab. Sie stellte eine der begehrtesten Waren ihrer Zeit her: Baumwollgarn.

Weltweit war der Bedarf an Baumwolle und Baumwollproduktenprodukten im 19. Jahrhundert kontinuierlich gestiegen. Da eine Veränderung dieser Entwicklung nicht in Sicht war und die Umstände in Deutschland für einen eigenen Industriezweig für Baumwollspinnerei günstig waren, gründete eine Gruppe Industrieller in Leipzig die Baumwollspinnerei. Dafür sprachen die niedrigen Arbeitslöhne, längere legale Arbeitszeiten als in Großbritannien und hohe Einfuhrzölle auf Garne die hauptsächlich aus England und der Schweiz importiert wurden.

Die als Aktiengesellschaft gegründete Spinnerei erwarb ein Stück urbar gemachtes Sumpfland am Karl-Heine-Kanal im Westen Leipzigs. Das Grundstück verfügte über direkte Anschlussgleise, gesicherte Zu- und Abwasserkanäle und eine Telefonverbindung. Um das Gelände herum bestanden bereits Arbeiterquartiere, die für die Angestellten genutzt werden konnten. Im Jahr 1884 wurde die erste Spinnerei gebaut und im selben Jahr konnte der Betrieb aufgenommen werden.

Leipsziger Baumwollspinnerei

Leipsziger Baumwollspinnerei, 1909

Bereits ein Jahr später hatte sich die Produktion immens gesteigert und bis 1907 entstanden weitere Spinnereien, Kämmereien, Produktionshallen und Verwaltungsgebäude. Die Leipziger Baumwollspinnerei war zur größten Spinnerei Kontinentaleuropas angewachsen, beherbergte ca. 4000 Menschen auf 100.000m². An 240.000 Spindeln arbeiteten Menschen aus Sachsen, Bayern, dem Erzgebirge, Württemberg, aus Polen und Tschechien, aus Österreich und der Schweiz im Dreischichtsystem.

Für die Arbeitskräfte aus ganz Europa wurde eine völlig moderne Infrastruktur geschaffen. In der Nähe der Fabrik gab es Siedlungen mit Arbeiterhäusern, Kindergärten, medizinische Versorgung, Geschäfte, Lokale und Freizeitmöglichkeiten wie einen Park mit Turnhalle, Musikkapellen, Tanzgruppen und Chören. Sogar eine Betriebsfeuerwehr war parat. Weitere Zeichen für die moderne Ausrichtung der Spinnerei waren die eigene Spinnereischule und die Werkskantine, die Waren zum Selbstkostenpreis abgab. Selbst erzeugter Strom konnte für elektrische Bogenlampen anstatt der üblichen Gaslampen genutzt werden. Aber selbst unter diesen zu der Zeit sehr guten Arbeitsbedingungen, breiteten sich nach 1900 die Ideen des Sozialismus aus. Streiks für kürzere Arbeitszeiten waren häufiger an der Tagesordnung, eine Rede Karl Liebknechts im nahe gelegenen Felsenkeller schürte das Gedankengut weiter an.
Die Folgejahre wurden schwierig für die Spinnerei. Während des Ersten Weltkrieges und in der Zeit danach brach die Rohstoffversorgung immer wieder zusammen, der internationale Konkurrenzdruck nahm zu, soziale Unruhen und Inflation bestimmten die Entwicklung. Neben der eigentlichen Garnproduktion kam die Herstellung von Sprengminen zu Kriegszwecken hinzu.
Der Erste Weltkrieg hatte das Industriegelände weitgehend unbeschadet gelassen, da die riesigen Dächer begrünt waren und von Piloten für Wiesen gehalten wurden.
Auch während der Weimarer Republik blieben die Zustände äußerst schwierig. Schwankende Baumwollpreise, unsichere Produktion, zu viel Baumwolle auf dem Markt und eine rückläufige Konjunktur verstärkten die unsichere Wirtschaftslage. Die Löhne wurden gekürzt, während Streiks für den Acht-Stunden-Tag und höhere Löhne legten die Arbeiter die Maschinen still – für diese Aktion wurde der gesamten Belegschaft fristlos gekündigt.

Leipziger Baumwollspinnerei

Leipziger Baumwollspinnerei

Die Nationalsozialisten propagierten den „Aufschwung“. Nachdem die Spinnerei von allen SPD- und KDP-Mitgliedern „gesäubert“ wurde, investierte die Führung in die Fabrik. Der sogenannte Aufschwung hatte vor allem mit der Produktion von Garnen für Militäruniformen zu tun. Ganz sozial zeigte man sich bei der Versorgung der Frauen, die jetzt in den Produktionshallen arbeiten, da ihre Männer an der Front dienten. Es gab Wohnungen mit Bädern und elektrischen Herden, finanzielle Unterstützung und Familienbeihilfen wie Kuraufenthalte und Wäschepakete. Die Kehrseite der sozialen Medaille waren die Zwangsarbeiterinnen, die eingesetzt wurden. KZ-Häftlinge arbeiteten angeblich nicht in der Spinnerei, der Aufsichtsrat Walter Cramer hatte sich dagegen ausgesprochen. Cramer gehörte zum zivilen Widerstand um Bürgermeister Goerdeler und wurde nach dem Hitler-Attentat verurteilt und hingerichtet.

Leipziger Baumwollspinnerei

Leipziger Baumwollspinnerei

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann die sowjetische Besatzungszeit. Die Gebäude und Maschinen erlitten nur wenig Schaden, aber die Reparationszahlungen kosteten die Spinnerei die Hälfte aller Maschinen. Mit dem Jahr 1946 wurde die Leipziger Baumwollspinnerei zum Volkseigenen Betrieb (VEB). Die Belegschaft bestand zu 80% aus Frauen, die nebenbei auch noch eine Familie zu versorgen hatten. Um dem gerecht zu werden, die Produktivität steigern zu können und die Übererfüllung des Planes anzustreben, entstanden Einrichtungen wie Wochenkrippen oder Kinderwochenheime.

Leipziger Baumwollspinnerei

Leipziger Baumwollspinnerei

 

Für viele wirkten die Möglichkeiten zur beruflichen Qualifizierung, das familiäre Umfeld und die kulturellen Angebote wie der soziale Himmel. Wahrgenommen werden konnte diese jedoch nur mit einer Parteimitgliedschaft der SED.
In den 80er Jahren stieg der Konkurrenzdruck aus Indien und Pakistan stark an. Innerbetriebliche Rationalisierungen und der Einsatz moderner Maschinen sollten die Produktivität erhöhen, aber der wirtschaftliche Niedergang war kaum mehr aufzuhalten.

Leipziger Baumwollspinnerei

Leipziger Baumwollspinnerei

Mit dem Mauerfall endete die Garnproduktion. Kurz darauf, im Jahr 1993 wurde die Spinnerei abgewickelt und von der Treuhand an einen westdeutschen Käufer abgeben. Dieser arbeitete noch eine Zeit lang mit einer Belegschaft von 40 Leuten weiter. Dabei nutzte er nur einen Bruchteil des Geländes und versuchte, für die anderen Räume neue Mieter zu finden. Daraus ergaben sich neue, alternative Nutzungskonzepte. Als erstes kamen die Künstler, unter ihnen z.B. Neo Rauch und andere Vertreter der Neuen Leipziger Schule. Die Mietpreise waren günstig und zogen weitere Kreativschaffende an.

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Leipziger Baumwollspinnerei

Bis heute hat sich die Baumwollspinnerei in Leipzig zu einer lebendigen Kunststadt entwickelt, die auf einem zehn Hektar großen Werksgelände Modedesignern, Architekten, Druckereien, Goldschmieden, einer Keramikwerkstatt, Porzellanmanufaktur, Fahrradmanufaktur, einem Filmklub, einem Künstlerbedarf und Gastronomie ein Zuhause gibt. Der Guardian nannte die Spinnerei 2007 „the hottest place on earth“.

Leipziger Baumwollspinnerei

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