Film: „The September Issue“ – das „System VOGUE“ und seine Herrscherin

„Where ́s the glamour? It ́s VOGUE, ok?“ sagt Anna Wintour von der US-amerikanischen VOGUE zu einem überforderten Redakteur im kürzlich in den USA angelaufenen Dokumentarfilm „The September Issue“, der, aufgehängt an der Vorbereitung der Septemberausgabe 2007 der Zeitschrift, Einblicke in die Tätigkeit der daran beteiligten Personen gewährt.

The September Issue zeigt ihren hektischen Alltag und begleitet Personen wie die Kreativchefin Grace Coddington, den flamboyanten André Leon Talley, Moderedakteurin Sally Singer und viele andere; Über allem jedoch thront „Editor-in-Chief“ Wintour, die alles, was von ihren talentierten Mitarbeitern präsentiert wird, abnickt oder verwirft, und damit Stück für Stück eine ihre individuelle Vision reflektierende Zeitschrift produziert.

Dass sie das auf ihre eigene Art macht, und dass dabei viele „Herzen gebrochen“ werden, wie Grace Coddington -eine der Frauen, die ihr widersprechen dürfen- sagt, wird, je mehr sich dem Zuschauer die Logik dieser Unternehmung erschliesst, verständlich.
Damit, dass sie dafür die „Ice Woman“ und böseres genannt wird, muss sie leben, und es lässt sich der Eindruck nicht vermeiden, dass es eine von Wintours Stärken ist, mit diesen Anfeindungen umgehen zu können, eine Stärke, die sie, wenn sie davon spricht, wie ihre englischen Geschwister über ihre Tätigkeit schmunzeln, scheinbar nicht mehr hat.
Diese Vorurteile ihrer Familie, die sie scheinbar treffen, könnten jedoch nichts weiter als gut versteckter Neid sein.
Denn Wintour ist wirklich wichtig:
Sie drängt Stefano Pilati von Yves Saint Laurent bei der Kollektionspräsentation zur Eile, kanzelt Jean-Paul Gaultier dafür ab, dass er den kreativ-chaotischen Künstler gibt („Nothing ́s ready, you ́re going to say the usual story“), und auch am Rom-Shoot von Starfotograf Mario Testino mit Cover-Model Sienna Miller findet sie kaum Gefallen.
In diesen -eher unspektakulären- Szenen, in denen nur ein knapper Kommentar, ein Blick von ihr genügt, zeigt sich das ganze Ausmass ihrer Macht.
Eine Macht, die sich aus ihrer Position im Modegeschäft speist: Anna Wintour ist eine Magierin, sie transformiert gestalterische Ideen in konkrete Bedürfnisbefriedigung für Millionen von Menschen.
Sie entscheidet -unterstützt von ihren Mitarbeitern- was en vogue sein wird, und begleitet Mode von der Konzeption bis zum Marktplatz.

Je mehr sich der Film von Regisseur R.J. Cutler, der für The War Room die Präsidentschaftskampagne von Bill Clinton begleitete, und der vor seinem ersten Treffen mit der „Editrix“ genauso unsicher wurde wie viele andere vor ihm, nun entfaltet, desto mehr zeigt sich der Kontrast zum Spielfilm Der Teufel trägt Prada (basierend auf dem Roman einer ehemaligen Assistentin Wintours), der eher eine persönliche Abrechnung mit einem -gemäss Grace Coddington- herzlosen Arbeitsumfeld darstellt, der vielmehr weibliche Befindlichkeiten on the job beschreibt, und damit seltsam eindimensional wirkt, weil er die innere Logik dieses harten Geschäfts zum Teil unterschlägt.

So zeigen die Szenen beim traditionellen „Retailers ́ Breakfast“ mit Kaufhausvertretern, wo VOGUE die favorisierten Looks des kommenden Jahres vorstellt, die koordinierte Aktivität nicht als abgekartetes Spiel hinter den Kulissen, sondern als Dienstleistung für die Käufer, die die Mode, die man ihnen nahelegen wird, auch erstehen können.
Und hier beweist Wintour wie so oft Humor: als der Geschäftsführer von Neiman Marcus sie bittet, den Händlern bei der „Warenauslieferung“ zu helfen, also die Designer zu bitten, früher und zuverlässiger zu liefern, missversteht sie die Bitte bewusst und fragt unter allgemeinem Gelächter: „What do you want me to do, rent a truck?“

Cutler ist mit The September Issue eine der interessantesten Dokumentationen dieses Jahres gelungen, die sicherlich auch zu einem interessanten Zeitpunkt erscheint: der Film, für den es noch keinen deutschen Aufführungstermin gibt, ist unter Umständen der Versuch, The Devil wears Prada durch die Realität zu konterkarieren, vielleicht aber auch Wintours Art einen Abgesang auf die VOGUE zu schaffen, und deren vielleicht letzten grossen „Editor-in-Chief“ ein Denkmal zu setzen.
Angesichts der Entwicklungen im Internet, sowie der Krise der Printindustrie im Allgemeinen und beim VOGUE Mutterverlag Cond© Nast im Besonderen, keine unbegründete Annahme.

pd_modabot

The September Issue Website
Ein deutscher Veröffentlichungstermin ist noch nicht bekannt.

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