Rick Owens SS14 – der Catwalk als Plattform für Gesellschaftskritik

Rick Owens‘ SS14 Präsentation schlägt derzeit Wellen in der Presse. Vielerorts gelobt, doch auch kritisiert wird seine Wahl, eine Tanzgruppe großenteils dunkelhäutiger, großenteils übergewichtiger Frauen auf die Bühne zu schicken. Fest steht, hier ist ein Bruch der Modewochenkonventionen geschehen, der genauer betrachtet werden sollte. Und wenn man sich Rick Owens bisherige Laufbahn, seine Philosophie zu Gemüte führt, wird klar, dass es hier nicht einfach mit einem „danke für die Diversity auf dem Catwalk“-Statement getan ist. Da beginnt die Dekonstruktions-Arbeit dieser Performance eigentlich erst.

Selbstverständlich, in einer Branche, die seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten für ihre ungesunden Körperideale kritisiert wird, für die fehlenden People of Color in ihren Anzeigen und auf dem Laufsteg, ist es eine erfrischende Abwechslung, ein inklusiveres Casting zu sehen zu bekommen. Auch die Art der Inszenierung, der Step-Dance, den die College-Studentinnen aus L.A., Brooklyn und Washington da aufführten, war ein eindrucksvolles Zurschaustellen von massigeren Körpern in Bewegung, ein Zeichen, dass die Frauen trotz Übergewicht stark, fit und gesund sein können, dass es eben nicht nur eine Art von Schönheit gibt.

„Throughout history, people have gathered together to celebrate beauty. And celebrating beauty in a communal moment, that’s one of the best things in life and you can’t do that in a video. And that’s part of what fashion is about: celebrating  something that everybody can feel at the same time. Fashion shows are kind of a pageant or a ceremony and the clothes are like relics from that ceremony that you can keep. I like to think of it that way. I might be making it more poetic in my head, but I enjoy it, I enjoy that little story.“ Rick Owens, (Quelle)

Rick Owens, SS14, Bild via

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Und trotzdem bleibt irgendwie ein fahler Beigeschmack bei der Art, wie diese Show Wellen schlägt, wie sie in den Medien besprochen wird, wie sie vermutlich nichts an den Konventionen der Mode ändern wird. Die Mode ist per Definition ein oberflächliches Medium, die Berichterstattung über sie demzufolge meist auch mit der Oberfläche beschäftigt. Daher fehlt den meisten in diesem Metier scheinbar die Fähigkeit, auch einmal näher hinzusehen, zu hinterfragen, zu analysieren. Begeisterung ob der Abwechlsung, die Schönheit „normaler Frauen“ loben, einmal im Jahr, das ist nicht genug.

Rick Owens, SS14, Bild via

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Das Ende des Laufstegs ist in violettes Licht getaucht, in dem von hinten beleuchteten Backstageausgang erscheinen die Silhouetten zweier amazonenhaft wirkender Frauen, zum Percussionbeat. Die sich auf die Brust schlagenden Kämpferinnen lassen sich Zeit, die Treppen zum Catwalk hinunterzustampfen, ihre Gesichter, die erst spät erkennbar werden, sind zu wütenden Grimassen verzogen. Die Mähnen ungebändigt oder verborgen unter Schleiern, die Kleidung ist schwarz, ledern, kurz, und erinnert an eine Art Rüstung, vielleicht Uniform, diesen mächtigen Frauen (man beachte, wie hier das Wort „mächtig“ seine Konnotation ändert) stellt man sich besser nicht in den Weg.
Ist das nun, wie man so einfach und gerne schreiben könnte, ein Lobgesang auf die Stärke der (schwarzen) Frau, den Kampfgeist, die Willenskraft?

Rick Owens, SS14, Bild via

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Sicherlich auch, ja, aber ganz so einfach kann und darf man es sich hier, so finde ich, nicht machen. Denn Rick Owens, zusammen mit einigen wenigen anderen Modemachern, ist ein Philosoph, der Stoff statt Worte benutzt, um seine Gedanken auszudrücken. Hätte er lediglich ein Statement für mehr Diversity und Frauenpower setzen wollen, so hätte er es einfacher haben können. Nein, hier geht es um mehr.

Die „Angry Black Woman“ ist ein ständig wiederholter Stereotyp der amerikanischen Geschichte, der Popkultur. In welchen Rollen werden schwarze Frauen in Film, Fernsehen und Fotografie gezeigt? Wo tauchen sie in der Populärkultur auf? Wie werden sie repräsentiert? Es gibt ziemlich genau drei Arten: hyper-sexualisiert, als Big-Mama-Typ oder wütend, im Ausnahmefall eine Kombination von zwei oder drei dieser Klischees.

Gründe für Wut, neben dieser Einschränkung an sichtbaren Rollenvorbildern, gibt es genügend. Afriamerikanische Frauen verdienen von allen ethnischen Gruppen (zusammen mit Latinas) am wenigsten, haben die niedrigste Heiratsrate, eine hohe Abtreibungs- und die höchste Alleinerziehendenrate. Sie sind die Verliererinnen des amerikanischen Projekts, das von Beginn an auf ihrem Rücken gebaut wurde. (Diese Studie übrigens zeigt, dass schwarze Frauen keineswegs eine niedrigere Agressionsschwelle haben, als die Vergleichsgruppe)
Der Abgang der Tänzerinnen, an eine Polonaise erinnernd, ist laut Financial Times tatsächlich eine militärische Erfindung aus dem Bürgerkrieg, um sich durch Aufständische zu schlängeln. Und was war noch mal der Grund für den Bürgerkrieg? Sklaverei, genau. Diese Frage bleibt beim FT Artikel allerdings ungefragt, die Gründe unerklärt.

Rick Owens, SS14, Bild via

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Aber es geht nicht nur um eine Geschichte der schwarzen Frau, es geht hier auch darum, wie Frauen allgemein mundtot gemacht werden, mit ebensolchen Labels wie „Angry Black Woman“ oder „Feminazi“. Wie begründete Wut als PMS oder Hysterie abgetan wird, wie auf die noch immer nicht erreichte Gleichberechtigung der Frau scheinbar nur, wie hier bei Femen, mit Zuckerbrot und Brüsten aufmerksam gemacht werden kann – kurz, das Versagen der Medien und Presselandschaft, die Interessen Aller zu repräsentieren.
Die engen Verhaltenskodices innerhalb derer „richtige“ , also gesellschaftlich akzeptierte, Weiblichkeit stattfindet, performt wird: nicht laut, nicht wütend, nicht viel Platz einnehmend – so soll ein „gutes“ Mädchen sein. Das „normale“ Laufstegmodel ist damit ein Paradebeispiel von unterdrückter weiblicher Macht: sie schweigt, sie folgt, sie präsentiert, sie wartet, sie hungert, sie funktioniert. Die wütenden Stampfer vom Owens dagegen sind eine Präsentation weiblicher Macht und Wut, eine Darstellung, die echten Seltenheitswert genießt.

Rick Owens hat sich getraut, seine Catwalkshow als politisches und gesellschaftliches Statement zu nutzen, eine Aussage über die Emanzipation und die Repräsentation der Frau zu treffen, er hat seine Stimme als öffentliche Person genutzt. Er hat Inhalt über Verkaufszahlen gestellt, seine Außenseiterposition als Amerikaner in Paris genutzt um eine Fülle von Probleme sichtbar zu machen, die sonst gerne kleingeredet oder totgeschwiegen werden.
Dafür vielen Dank, Rick.