Interview: Le Monde du Voyage – eine Reise in die Vergangenheit von Louis Vuitton, Goyard und Hermès

Le Monde du Voyage, Marché Saint Ouen

Le Monde du Voyage, Marché Saint Ouen

Helen und Alain Zisul besitzen ein Geschäft, Le Monde du Voyage, inmitten des Pariser Antiquitätenmarktes Saint Ouen, in welchem sie Reisekoffer und Taschen, aber auch andere Vintage-Luxusartikel verkaufen. Die Sammlung an originalen Louis Vuitton-, Goyard- und Hermèsstücken, welche die beiden aus aller Welt zusammengetragen haben, ist beachtlich. modabot interviewte die Inhaberin zu ihrer Sammlung, den Kunden und den Geschichten hinter den Vintage-Koffern.

modabot: Wie Sind Sie ins Vintage-Koffergeschäft eingestiegen, und warum geblieben?
Helen Zisul: Als Kind hat meine Mutter mich immer mit in Antiquitätenshops geschleppt. Ich habe das gehasst! Ich hätte nie gedacht, dass ich selbst am Ende auf dem größten Antiquitätenmarkt der Welt arbeiten würde.
Als ich nach Frankreich kam, wollte ich als Englischlehrerin arbeiten und nur ein paar Jahre bleiben, doch dann lernte ich Alain kennen und alles kam anders. Seine Eltern hatten das Geschäft bereits und so lernte ich einiges über den Flohmarkt und die Vintage-Koffer und Taschen, welche sie verkauften. Dann wurde mein Schwiegervater krank, und wir halfen meiner Schwiegermutter im Laden aus und stellten dabei fest, dass es uns gefiel. Als Alains Eltern sich 1997 zur Ruhe setzten, beschlossen wir, das Geschäft zu übernehmen. Ich gab meine Lehrerstelle auf und Alain seinen Job im Finanzwesen – wir haben es beide noch kein bisschen bereut.

Le Monde du Voyage, Marché Saint Ouen

Le Monde du Voyage, Marché Saint Ouen

modabot: Wer sind Ihre Kunden?
Helen Zisul: Es gibt keinen „typischen“ Kunden, aber die Mehrheit sind Ausländer. Wir verkaufen regelmäßig an Leute aus aller Herren Länder. Wir haben viele Amerikaner, aber auch mehr und mehr Chinesen. Die Japaner haben unsere Stücke immer gemocht, und wir haben viele weitere asiatische Kunden. Paris ist aber auch sehr beliebt als Wochenend-Reiseziel und daher bekommen wir auch viel Europäische Kundschaft: Briten, Deutsche und Italiener. Manche wissen, was sie wollen, und kommen gezielt zu uns, aber viele entdecken uns aus Zufall. Da wir französische Luxusobjekte verkaufen, kann man bei uns ganz hervorragend das eine oder andere Souvenir finden – ein Hermès Tuch lässt sich einfach einpacken, einen Koffer lassen wir schicken.

modabot: Was ist der spannendste Teil Ihrer Arbeit?
Helen Zisul: Da gibt es zweierlei: Nie zu wissen, was wir als nächstes finden und nicht zu wissen, an wen wir als nächstes verkaufen werden – der Flohmarkt ist ein Lieblingsziel von Berühmtheiten.

modabot: Zum Beispiel?
Helen Zisul: Wir haben eine Louis Vuitton Truhe an Lionel Richie, Hermès-Armreifen an Reese Witherspoon, drei Koffer an Königin Sonja von Norwegen, und einige Schrankkoffer an Takashi Murakami verkauft. Er zeigte uns seine Entwürfe für die Kooperation mit Vuitton bevor sie abgesegnet waren und ließ uns schwören, mit niemandem darüber zu sprechen! Pharell Williams kaufte ein paar Hermèstaschen und Chanelschmuck. Madonna hat sich einmal die Koffer hier angesehen, aber nichts gekauft. Das war kurz nach der Scheidung von Guy Ritchie und ich zeigte ihr einen besonders schönen Louis Vuitton Schrankkoffer mit dem Vermerk er sei für Gentlemen, worauf sie antwortete: „The problem is I don’t know any gentlemen.“
Außerdem verkaufen wir immer wieder an Hermès, Louis Vuitton und Goyard selbst, für ihre Archive.

modabot: Der Marché aux Puces ist einer der bekanntesten der Welt. Was bedeutet er Ihnen?
Helen Zisul: Der „Puces“ ist ein aufregender Ort, und viele der Verkäufer sind echte Charaktere. Es gibt viele Märkte innerhalb des Puces und jeder hat seine eigene Atmosphäre. Die Bandbreite an Dingen, die man hier finden kann ist unglaublich: von Magazinen aus den 50er Jahren bis hin zu Skulpturen von berühmten Künstlern. Der Markt is einzigartig und hat sich in über 100 Jahren zu dem entwickelt was er heute ist. Er ist keine Sammlung von Gebäuden und Marktbuden, sondern ein lebendiges Wesen, das unter der Woche schläft und am Wochenende zum Leben erwacht.

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modabot: Erzählen Sie uns etwas zu den Stickern, die man auf den alten Koffern findet.
Helen Zisul: Die Koffer sind faszinierend, man kann gar nicht anders als sich zu fragen, wo sie schon gewesen sind und wem sie gehörten. Diese Sticker sind Hinweise auf die Vergangenheit der Stücke. Manche sagen aus, ob der Koffer in die Kabine oder unter Deck gehören, andere haben mit dem Zoll zu tun, doch die meisten wurden von den Hotels selbst aufgeklebt, sozusagen als kostenlose Werbung. Unter den Concierges der größten Hotels gab es außerdem eine Art Code mit diesen Kofferlabels. Abhängig davon, wo das Label aufgeklebt war, und ob gerade oder in einem bestimmten Winkel, bedeutete, dass der Gast schwierig oder großzügig, anspruchsvoll und so weiter war.

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modabot: Wie unterscheidet sich die Herstellung der Koffer heute von jener damals?
Helen Zisul: Es gibt viele Unterschiede. Zum Beispiel hatten die frühen Koffer eine metallene oder lederne Verkleidung, heute ist das ein gemischtes Material, das weniger leicht abreibt als Leder. Das Monogramm heute ist essentiell aus Plastik, in der Vergangenheit war es entweder aus gewebter Baumwolle oder aus wasserfestem Leinenstoff. Damals wie heute war der Einschlag der Luxus-Koffer aus Leder, aber früher nahm man dafür Kalbsleder, sehr schön, aber auch fragiler. Das Epi-Leder, das heute für Koffer verwendet wird ist strapazierfähiger aber hat für mich nicht den gleichen Charme.

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modabot: Wie hat sich die Idee von Luxus verändert?
Helen Zisul: Ich glaube nicht, dass sich die Idee von Luxus verändert hat. Die Glücklichen, die damals mit Louis Vuitton oder Goyard-Gepäck reisten, fanden das ganz „normal“. Sie waren superreich und waren es gewohnt, von allem das Beste zu haben, daher nahmen sie das gar nicht als Luxus wahr. Sie zogen sich nicht selbst an oder packten, und sie transportierten die Koffer auch nicht selbst. Als Luxus nahmen vermutlich die Chauffeure, Diener und Butler das Gepäck wahr.

modabot: Wie veränderten sich die Louis Vuitton Koffer über die Jahre?
Helen Zisul: Traditionell hatten die Koffer eine gewölbte Oberschale. Viele gestehen Vuitton die Erfindung des flachen Koffers zu, sodass man die Koffer erstmalig stapeln konnte. Er erfand auch den aufrecht stehenden Koffer. Zuvor hatten alle Koffer Schubladen zum Herausziehen und die Kleider wurden liegend transportiert, das bedeutete, dass das Dienstmädchen alle Kleider bügeln musste, bevor sie getragen werden konnten. Durch seine Freundschaft mit Charles Frederick Worth, dem Couturier, wusste Vuitton, dass die Kleider enger wurden und er designte einen Koffer mit Kleiderbügeln, wodurch das Leben der Zimmermädchen um vieles einfacher wurde.
Das Monogrammmotiv wurde 1896 erschaffen, das Geschäft gab es aber seit 1854. Vuittons erste Koffer waren in einfachem Grau gehalten, 1872 führte er einen rot-beige gestreiften Canvas ein. Vier Jahre später wurden die Farben verändert, ein helles Beige und ein dunkleres Braun lösten die vorherige Kombination ab. 1888 erschien der erste Damier, oder Schachbrettmuster, zur selben Zeit etwa wurde das Schloss verbessert und wurde „einbruchsicher“, wie man es bis heute kennt.

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modabot: Woran erkennen Sie die Periode aus der ein Koffer stammt?
Helen Zisul: Wie gesagt, vor 1896 ist es einfach, der Monogrammprint ist jetzt seit fast 120 Jahren im Einsatz, daher müssen wir andere Hinweise anschauen, darunter die Adresse im inneren des Koffers und das Schloss, beide haben sich über die Zeit mehrfach geändert.

modabot: Was war bisher Ihr interessantestes Stück?
Helen Zisul: Da gab es viele, doch einer sticht besonders heraus: ein Vuitton Koffer mit orangenem Canvas. Wir könnten seine Herkunft bis zum Grand Duc André verfolgen können, ein Cousin von Zar Nicolas, und seiner Frau, Mathilde Kschessinskaya. Mathilde war eine interessante Frau – eine bekannte Balletttänzerin und die Geliebte des Zaren. Als er genug von ihr hatte wurde sie die Geliebte einiger seiner Cousins. Zu guter Letzt heiratete sie André und die beiden verließen Russland vor der Revolution. Sie ließen sich in Paris nieder mit sehr wenig Geld und gründeten eine Ballettschule in ihrem Haus. Der Duc öffnete den Schülern selbst die Türe!

modabot: Louis Vuitton, Goyard, Hermès – alle drei haben ein sehr unterschiedliches Verständnis von Luxus und sehr unterschiedliche Marketing-Strategien. Was ist ihre Meinung zur Entwicklung dieser Labels?
Helen Zisul: Goyard und Vuitton hatten sehr ähnliche Anfänge. Edmond Goyard übernahm das Geschäft seines Chefs 1853, Louis Vuitton startete 1854. Beide wurden zu den beliebtesten Herstellern von Reisegepäck für den distinguierten Reisenden. Vuitton allerdings hatte einen höheren Output und expandierte internationaler. Die Popularität des Flugzeuges bedeutete, dass in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer weniger Leute Koffer brauchten. Die Vuitton Familie verkaufte ihr Geschäft und es wurde Teil der LVMH Gruppe. Goyard blieb ein Familienunternehmen und wurde zum Großteil vergessen, bis es 1990 von der Erbin verkauft wurde. Der Mann, der es übernahm ist ein begeisterter Sammler von Koffern und er entdeckte die Marke durch das Sammeln. Er nahm sich Zeit und relaunchte das Label, indem er sich auf das handbemalte Canvas-Design der 30er Jahre berief. In den letzten fünfzehn Jahren wurde Goyard so wieder zu einem Go-to-Trunkmaker, zu dem die Leute gehen, die das Monogramm nicht mehr sehen können und etwas diskreteres suchen.

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Vuitton und Hermès sind zwei sehr verschiedene Unternehmen. Cleveres Marketing in den letzten Dekaden, eine Konzentration auf Taschen und Accessoires sowie eine massive internationale Expansion haben Vuitton heute zu einer der bekanntesten Marken der Welt gemacht. Hermès war immer ein Familiengeschäft, deren Mehrheitsanteile in den Händen von etwa 30 Cousins und Cousinen liegen. 1837 als eine Sattlerei gegründet, macht Hermès  seit über 100 Jahren Reisetaschen aus dem besten Leder, in Handarbeit. Im Allgemeinen ist eine Hermèstasche teurer als eine Vuitton, weil sie handgefertigt ist und viele Arbeitsstunden braucht. Die Qualität des Produkts bedeutet, dass einige Kunden zwei bis fünf Jahre warten, bis sie eine Tasche in einer bestimmten Farbe bekommen. Die aufwendige Lehre und Handwerkskunst, die es braucht um eine Hermèstasche zu fertigen kann man nicht beschleunigen. Ich glaube aber auch nicht, dass Hermès das tun würde, wenn es könnte, denn die Rarheit ihrer Taschen ist ja genau das, was sie den meist begehrten ihrer Art macht.