Please Take Your Seat And Enjoy The Show! – Über das Live-Streaming von Modenschauen

prada cast screenshot25022010
Screenshot der Prada Liveübertragung vom 25.2.2010 auf www.prada.com

Hugo Boss, Dolce und Gabbana, Luis Vuitton, Alexander McQueen, Prada, Jil Sander, Gucci, Aigner, Burberry Prorsum, Lacoste, Alexander Wang, Calvin Klein, Marc Jacobs, Rodarte, Bernhard Willhelm, London Fashion Week Digital Schedule, …
Die Liste der Designer, die ihre Fashionshows im Internet live übertragen, lässt sich noch lange fortführen. In der jüngeren Vergangenheit folgen sie dem Trend, Fashionvideos und Live-Streams auf ihrer eigenen Website, auf Facebook, Modeblogs oder Online-Repräsentationen von Modezeitschriften, auf den offiziellen Websites der Fashion Weeks oder sogar via Iphone- Apps zu „broadcasten“.

dolcegabbana app screenshot
Screenshot Dolce & Gabbana Website

Damit wird nicht nur eine neue Ära der Verbreitung von Mode eingeläutet, sondern auch eine neue Strategie der Wahrnehmungs- und Bewusstseinssteuerung erprobt.
Natürlich war es nur eine Frage der Zeit, bis das per se demokratische, unmittelbare und die Interpretationsfreiheit unterstützende neue Medium des Live-Streams als Verkaufsstrategie der Konzerne genutzt wurde.
Während anfangs die Live-Streams noch unkommentiert gesendet wurden und Ausfälle von Ton und Bild, lange Ladezeiten und Verzögerungen das weltweite professionelle und nicht-professionelle Publikum verärgerten, kann man heutzutage mit –größtenteils– fließenden (sogar dreidimensionalen) Übertragungen aus verschiedenen Kameraperspektiven rechnen, die durch vorgeschaltete Interviews mit Designern, Beiträgen zur Labelgeschichte, Kommentaren von und über Frontrow-Sitzer und nachgeschalteter direkter Weiterleitung zum Onlinestore des Labels komplettiert werden.

Im Grunde verstärken diese Techniken die Orientierung am Endverbraucher, überspringen aber dadurch die Einkäufer, Redakteure und Presseleute, die sich um eine Karte bemühen mussten und den weiten Weg in die Modemetropole gekommen waren. Ist tatsächlich von einer Demokratisierung der Mode zu reden? Bringt die neue Inklusion nicht auch gleichzeitig eine Exklusion? Haben alle ein Iphone und einen Twitter- oder Facebook- Account?
Und weiter: Wie wird es mit dem großen Modeapparat weitergehen? Die gezeigte Modekollektion ist oft sogar sofort im Anschluss an den Live-Stream online erhältlich; was wird mit dem traditionellen Halbjahr-im-Voraus- Rhythmus passieren?

burberry prorsum screenshot23022010
Screenshot vom Endbild der Burberry Prorsum vom 23.2.2010 (via www.lesmads.de)

Kaufen wir nun die Winterkollektion 2010/2011 und tragen sie jetzt schon im Sommer… oder wer soll sie bis zum Winter im Schrank aufheben? Was bedeutet das für die Designer – müssen sie nun nicht nur, wie vorher üblich, die Laufstegkollektion in der Modelkonfektion 34/36, sondern alle Verkaufsgrößen vorproduzieren?
Früher konnte man die nachfolgende Produktion am Erfolg der professionellen Kritik über die Modenschau ausrichten, die Modenschau war Barometer der voraussichtlichen Verkaufsquote – wo bleibt nun die Möglichkeit der Resonanz? Ist sie gänzlich an Twitter- und Facebook-Kommentaren zu messen?

gucci screenshot27022010
Screenshot Gucci Liveübertragung 27.2.2010, www.gucci.iwebcasting.it

Was wird mit den aufwendig inszenierten, (Hundert-)Tausende von Euros verschluckenden Modenschauen passieren, wenn durch den Live-Stream die Relevanz der PRÄSENZ untergraben wird und die Schaffung von Atmosphären und Rauminszenierungen durch die Modenschauproduzenten von Livecams nicht eingefangen und übermittelt werden kann?
Im günstigsten Fall könnte es sich wie bei den digitalen Museen verhalten – dass die Kunstwerke zwar online rezipiert, den Museumsbesuch jedoch nicht ersetzen können, ja sogar eher dazu anregen, mal nach London in die National Gallery zu fliegen.

Wird der Live-Stream-Hype rückwirkend wieder die Anwesenheit auf der Modenschau fördern? Solche Fragen spiegeln die Unsicherheit und Desorientierung wieder, in der wir uns als „User“ befinden. Dennoch wird der Live-Stream international gefeiert, so bleibt es eine hochrelevante Frage, inwiefern Liveübertragungen förderlich und sinnvoll für die Mode sein können.

Man versuche einmal, während einer Übertragung auf seine Aufnahmebereitschaft zu achten. Außer, dass man sich insbesondere dafür interessiert, welche Promis und Fashionikonen in der ersten Reihe sitzen, wird vor allem der Fokus auf die gezeigte Mode erleichtert. Durch das Heranzoomen an verschiedene Details und die Möglichkeit, im Nachhinein auf „Pause“ zu drücken und das Video zu wiederholen, wird die Aufmerksamkeit des Viewers gezielt auf die Highlights der Kollektion gezogen.
Man verpasst also das Wichtigste nicht, sitzt nicht hinter jemandem, der einem die Sicht verdeckt, wird nicht von Scheinwerfern geblendet… eine klare Sicht also? Eine reinere, unverfälschte Wahrnehmung? Oder dadurch, dass die eigene Auswahl verhindert wird, eine Manipulation?
Aber seien wir doch ehrlich: genau dasselbe geschieht ja auch in den redaktionellen Teilen der Magazine – eine kommentierte Vorauswahl. Aber sind die Zuschauer denn genauso professionell, genauso kritikfähig wie eine Anna Wintour, die genau zu wissen scheint, was ankommt und was nicht?

Die Liveübertragungen lösen weltweit bei allen Fashionistas Begeisterung aus – jedoch tut sich danach die Frage auf: UND JETZT? Was weiß man jetzt mehr über den Designer als vorher? Wird man diese Mode jetzt eher kaufen?

Man fühlt sich vom Label einbezogen und beachtet; man ist stolz, involviert und up-to-date zu sein, man saß ja sozusagen neben Suzy Menkes.
Schade nur, dass sie einen nicht gesehen hat und schade, dass der Facebook-Kommentar unter Hunderten untergehen wird. Es wird die Illusion geschaffen, dass man seinen Einflussbereich erweitern kann, dass man für die Fashionindustrie als „opinion former“ relevant ist.

Man könnte prognostizieren, dass diese neue Strategie eher den Streetstyle fördern wird, als den Verkauf der teuren Marken. High Fashion muss auf ihrem Niveau bleiben und niveauvoll rezipiert und kommentiert werden; eine Live-Übertragung verführt eher zum direkten Gang zum drei Meter entfernten Kleiderschrank, um den neuen Stil streetgerecht zu interpretieren.

Mode lebt ganz besonders auch von Exklusivität, ständigem Wechsel und dem Sich-Abheben vom Gewöhnlichen und Allgemeinen – ob jetzt die Demokratisierung der Moden-Beschauung diese Prinzipien revolutionieren wird, bleibt abzuwarten.

Alicia Kühl