Disability Chic

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Larry Dunstan Photography

Ein immer wieder aufgegriffenes Motiv in Mode und Populärkultur ist das der Behinderung. Ob in Modefotografie, Kunst oder Film: Behinderung, ihre Ästhetisierung und ihr Schrecken, ist ein schockierendes und zugleich anziehendes visuelles Element. Um eines vorwegzuschicken: es geht hier nicht um tatsächliche Behinderung, sondern um ihre, zumeist geschönte, Repräsentation in den Medien und der Mode.

Menschen mit Behinderungen werden unwillkürlich beäugt. Gleichzeitig sagt die Kultur, die Erziehung des Schauenden, dass man andere Menschen, besonders wenn sie eine Behinderung haben, nicht anschauen darf. Nun prallen dieses natürliche Interesse am Unbekannten und das kulturelle Tabu in dem Akt des Schauenden aufeinander.
Unangenehm für den Betrachter wie für den Betrachteten. Dieses Dilemma wird durch Fotografie aufgehoben. Fotografien dürfen angestarrt werden, sind dazu geschaffen, den Blick anzuziehen. Diane Arbus fotografierte sogenannte „Freaks“ und wurde damit zu einer der berühmtesten Fotografinnen nicht nur ihrer Zeit. Helmut Newton hat den sogenannten „Disability Chic“ nicht erfunden, doch er hat ihn sicher in seinen Fotografien für Vogue berühmt, „fashionable“ und anstarrbar, gemacht, als er 1995 Nadja Auermann für die Vogue mit Krücken und Gehhilfen fotografierte.

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Disability bei Helmut Newton und Diane Arbus

Benetton zeigte in einer ihrer Schockkampagnen 1998 Kinder mit Down Syndrom, und schickte voraus, dass es um „die Gabe der Liebe“ gehe und nicht etwa um Effekthascherei. Die Marke stellte sich dadurch als humanitäre und soziale dar, und hält bis heute dieses Image äußerst erfolgreich. Auch Lady Gaga verwendete das Element in ihren visuell überladenen Videos, beispielsweise in Paparazzi.
In einer Strecke der i-D vor noch nicht so langer Zeit wurden die Models Abbey Lee Kershaw und Susie Bick in ähnlicher Manier abgebildet. Die Ästhetik des vermeintlich Hässlichen fasziniert und stößt gleichzeitig ab.

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Abbey Lee Kershaw und Susie Bick in i-D.

Seither werden auch Accessoires immer beliebter, die an Behinderung erinnern oder sogar selbst behindern. Besonders im Bereich Schuhmode ist dieser Trend auffällig und auch weniger verwunderlich, stellen doch Schuhe mit hohem Absatz an sich eine Behinderung für die Trägerinnen dar.
Der weibliche Fuß wurde bereits im alten China zum Lotosfuß verkrüppelt und machte die derart Verstümmelte zu einer begehrenswerten Erscheinung. Da ist es nur konsequent, die Natur dieser Schuhform auf die Spitze zu treiben und ihre Ambivalenz zu verdeutlichen. Orthopädisch inspiriert im Design, doch keinesfalls orthopädisch in ihrer Wirkung.

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Orthopädisch inspirierte Schuhe bei Kokon to Zai und Jeffrey Campell

Ähnlich verhält es sich mit Schmuck, bei dem Mehrfingerringe immer beliebter werden, die in ihrer Essenz schon behindernd wirken, und die Bewegungsfähigkeit einschränken. Schönheit und Aktivität gingen in ihrer gemeinsamen Geschichte oft nicht konform, man braucht nur an das Korsett oder aufwendige Frisuren der vergangenen Jahrhunderte zu denken. Das Ideal der schönen Frau war oft das der Passiven.

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Mehrfingerringe

In unserer heutigen Gesellschaft scheint alles kontrollierbar. Kommunikation ist über alle Grenzen hinweg zu jeder Tageszeit mit jedem Menschen möglich, vorausgesetzt er, oder sie, hat Internetzugang. Die einzige unkontrollierbare Komponente des digitalen Menschen ist seine Naturhaftigkeit, sein Körper geworden. Krankheit und Behinderung stellen daher eine Bedrohung für den Menschen dar, die außerhalb seiner Kontrollmöglichkeiten liegt.
Tod, Krankheit, Schmerz und Alter werden – ähnlich wie bei Siddharta auf seinem Schloss – ausgeblendet und bilden doch die ultimative Angst des modernen Menschen.
Und während die Mode, mit ihrem stetigen Wandel, die ultimative Ablenkung von der Sterblichkeit des Menschen verspricht, scheint sie derzeit besonders daran zu erinnern zu wollen, dass alles eitel und vergänglich ist.

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Styling bei Anndra Neen