Hacking Couture – die Entschlüsselung der Marke

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Das Aufkommen des Computers, das sich für die meisten Menschen als etwas völlig Unspektakuläres darstellte, schafft seit einigen Jahrzehnten in einem konstanten Prozess des Wandels eine Welt, die die gewagtesten Visionen von Cyber Fiction Autoren wahr werden lässt. Während der Computer anfangs „nur“ ein immens nützliches Werkzeug für die verschiedensten Tätigkeiten war, gewinnt sein Potential heute eine neue Qualität.

Im Bereich der Kommunikation bringt die digitale Wende Möglichkeiten hervor, die über die optimierte Bewältigung von Arbeit weit hinausgehen.
Die allgemeine Zugänglichkeit von Information, die Vernetzung von Menschen und Ideen, und schlussendlich die vereinfachte Kooperation über Raum und Zeit hinweg, schaffen ein globales „Nervensystem“, das viele etablierte Prozesse des menschlichen Zusammenlebens als technologisch determiniert aufdeckt, und fast spielerisch überwindet.

Eines der beeindruckendsten Phänomene ist die Entstehung der Open Source-Bewegung, die das global verteilte, kooperative Arbeiten an freier Software entwickelte.
Das berühmteste Beispiel für Open Source Software ist das von Linus Torvalds initiierte freie Betriebssystem Linux, das zwar nie Microsoft Windows ablösen konnte, aber heute als eines der besten Computer-Betriebssysteme gilt.

Die Open Source-Bewegung, die stark vom Informatiker und Aktivisten Richard Stallman beeinflusst wurde, wendete sich gegen die etablierten Software Konzerne, die sich in der heutigen Welt zu den Schlüsselindustrien entwickelten, und die ihre „Quellcodes“, also den Code ihrer Programme, geheimhalten wollten.

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Linus Torvalds; Richard Stallman

Sie war damit eine hochpolitische Bewegung, eine Art „Cybermarxismus“, die erkannte, dass Software eines der modernen „Produktionsmittel“ ist, und die diese den „Massen“ zur Verfügung stellen wollte.

Einer der Helden dieser Bewegung war und ist der „Hacker“, in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes jemand, der als Idealist ein technologisches Problem elegant löste, bzw. auf dem Wege des „Reverse Engineering“ die verdeckte Struktur einer Soft- oder Hardware freilegte.

Dass diese interessanten und hochmodernen Paradigmen in vielen kulturellen Feldern aufgegriffen wurden, ist verständlich, und es verwundert nicht, dass sie auch im Bereich der Mode thematisiert worden sind.
Es ist auch nicht verwunderlich, dass dies durch eine Person geschah, deren persönliche Geschichte sie dafür prädestinierte.

Bei Giana Pilar González kommen viele der erwähnten Aspekte zusammen, die dazu führten, dass sie „Hacking Couture“, eines der interessantesten Projekte ins Leben rief, die derzeit an der Schnittstelle von Mode und Open Source Philosophie angesiedelt sind.
González wuchs in Panama auf und war früh an Mode interessiert.
Die Tatsache, dass sie auf der einen Seite über Fernsehen und Magazine mit den aktuellsten Stilen in Berührung kam, auf der anderen Seite sich mit keinem darüber austauschen, geschweige denn als Konsumentin daran teilhaben konnte, lösten bei ihr ein Gefühl der „doppelten Isolation“ aus.
Der Wunsch, dieser Welt anzugehören, führte dazu, dass sie sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Kleider, die sie sich erträumte, selbst fertigte, ein Versuch, dessen Resultate ihren Angaben zufolge teils unbefriedigend, teils kreativ befreiend wirkten.

Viel später, interessanterweise als Studentin am Interactive Telecommunications Program an der New York University, waren es diese Erfahrungen, die zu ihrem Projekt führten.

Hacking Couture will das Open Source Konzept auf die Mode anwenden.
Dabei werden in Workshops „etablierte Modeidentitäten“, wie sie sich beispielsweise in spezifischen Markenästhetiken manifestieren, „gehackt“ und als „offene Bibliotheken“ zur Verfügung gestellt.

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Giana González in einem Workshop; Bild linkt zum Video

Die sich wiederholenden Muster, die typischen Codes, die anhand der Kleidung und Werbung der Marken untersucht werden, können so als Grundlage von Eigenkreationen verwendet werden, so dass ein verdecktes ästhetisches System „demokratisiert“ wird.
Chanel oder YSL waren die ersten Brands, mit denen sich Hacking Couture exemplarisch befasste, letztendlich kommt jedoch jedes Label für einen Hack in Frage und die Veröffentlichung im Internet sichert einen weltweiten Zugang zu dessen „Bibliotheken“.

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Bei Hacking Couture stellt sich aber auch die Frage, ob es sich tatsächlich um „Open Source“ im eigentlichen Wortsinn handelt.
Da die Amateurdesigner nicht eigene Entwürfe als Arbeitsgrundlage nehmen, sondern die Ästhetik anderer Brands analysieren, um deren „Geist“ (nicht das konkrete Teil) zu kopieren und zu folgen, muss man die Prozesse wohl eher als ein „Analysieren und Lernen von Vorbildern“ bezeichnen, ein Vorgang, der prinzipiell nichts Ehrenrühriges hat.
González bezieht sich dabei auf Paul Graham, Informatiker und Internet-Essayist, der mit seinem Aufsatz „Hackers and Painters“ eine ihrer Inspirationsquellen ist:

„It is part of human nature, we imitate what we think is right, beautiful and interesting. Then after imitating our thinking process starts its own road. This is how I see my experience with Fashion: by imitation I have been able to come up with my own ideas. This has also depended upon the lack of resources (not being able to afford certain clothes, and working with materials that are available to me).“

Man könnte nun die Hacks auch respektlos eine „Zwangsdemokratisierung“ nennen, da die Labels ihre -für jeden sichtbaren- Geheimnisse nicht von allein preisgeben.
Somit zollt Hacking Couture durch den Akt der Aneignung den Brands Respekt, erkennt deren Leistungen an, und offenbart einen gewissen „Logo“-Glauben, ganz im Gegensatz zu Andrea Crews, die sich als „No Logo“-Kollektiv auf sich selbst verlassen.

Chanel, Yves Saint Laurent, oder Ralph Lauren sind aber Marken, die nicht grundlos weltweit bewundert wurden, und es ist verständlich, dass man sich, was die Stilparadigmen angeht, an ihnen orientiert.

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So hat González schlussendlich ihren Willen -und ihre Labels- bekommen; nicht als pubertärer Fashion Victim, sondern als erwachsene Designtheoretikerin.

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Hacking Couture
Interview von Fashion Projects mit Giana González
„Hackers and Painters“

Wikipedia Artikel
Open Source
Hacker
Reverse Engineering
Die Kathedrale und der Basar
Richard Stallman
Free Software Foundation
Paul Graham

modabot Artikel
Schöne neue Medienwelt – wie das Internet das Modeuniversum verändert
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Andrea Crews – Fashion Art Activism