Vivienne Westwood, die Grande Dame des Punk, sagte einmal „One leads a much more interesting life if one wears impressive clothes“. Man könnte umgekehrt aber auch sagen „One wears impressive clothes if one leads an interesting life“. Das trifft im Kern das Schaffen des Pariser Mode-Kunst Kollektivs „Andrea Crews“.
Gegründet von der Künstlerin Maroussia Rebecq produziert es Mode, die im cut-up Verfahren aus „deuxième main“ -also Second Hand- Kleidung recycelt und neu gefertigt wird.
Dabei ist die Mode auch ein adäquates Vehikel für den künstlerischen, und damit weltanschaulichen Ansatz, der im Sinne eines Gesamtkunstwerks die reine Modepräsentation überwindet und auf die unter der Oberfläche verborgenen Fragen hinweist.
Inspiriert von „Sub-Culture Comics, mystic Rastafary Frescos, Fanzines, Cut-up Porn, Electrorhythmen und Punkflyern“ präsentiert Rebecq, die wie die freche Schwester von „Bless“, wie die intellektuelle Übermutter von „Cassette Playa“ anmutet, eine moderne Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen der westlichen Welt, die sich der verschiedenen Mittel der zeitgenössischen Kunst bedient.
Andrea Crews machten im Jahre 2002 auf sich aufmerksam, als sie sich zusammen mit vielen anderen Teilnehmern im Pariser Palais de Tokyo daran machten, Textilien aus einem 4 Tonnen schweren Berg ausgemusterter Kleidung in aktuelle und individuelle Mode zu transformieren.
Die in Kooperationen mit Projekten wie „HUMANA Kleidung für Entwicklung“ zufällig vorgefundenen Teile und ihre unendliche Kombinierbarkeit waren und sind die Arbeitsgrundlage, auf der die Philosophie von Andrea Crews aufbaut: in der Schaffung dieses kreativen und chaotischen Raums liegt eine der Leistungen, die sie so interessant machen.
Die resultierende Mode reflektiert und beschreibt die jeweiligen Erzeuger, die, dieser Situation ausgesetzt, ihre individuellen Möglichkeiten nutzen, und in einem Prozess der Befreiung permanent erweitern können.
So wird ein monströser Kleiderberg, der zur Bearbeitung zur Verfügung steht, auch zur Metapher für die „Leinwand des Lebens“, die vom Individuum nach Belieben bemalt werden kann.
Dieser Ansatz, der im Ästhetischen fundiert ist, unterscheidet sich grundsätzlich vom Prinzip der „Ethical Fashion“, obwohl dieser Aspekt auch bei Andrea Crews explizit angesprochen wird.
Ethical Fashion beginnt in der politischen Arbeit und stellt die politischen Effekte in den Vordergrund. Als ob „Oberfläche“ unmoralisch wäre, ist das wichtigste Verkaufsargument das gute Gewissen des Konsumenten. Dass ihr aber von vielen Menschen gewissensfrei der Nimbus des Langweiligen angehängt wird, kann -und will- Ethical Fashion häufig nicht verstehen.
So wie der Sozialismus mit seiner Ablehnung des „Schönen“, Exaltierten, die Masse der Menschen letztendlich süchtig nach billigstem Glitter machte, so droht die Unkenntnis oder der Unwille, dieses Phänomen -ja sogar Naturgesetz- anzuerkennen, Ethical Fashion in ihrem Ghetto zu belassen.
Andrea Crews wissen das: ihre Kapitalismuskritik beginnt nicht bei einer „Ästhetik des guten Gewissens“, und damit treffen sie ins Schwarze: „Es kann ja wohl nicht sein, dass man so viel kaufen muss; es kann ja wohl nicht sein, dass man die Umwelt ruinieren muss, um Spass zu haben“, dieses Motto ist der Befreiungsschlag, der Ethical Fashion von ihrer Verbissenheit befreit, und ihr die Möglichkeit gibt, cooler zu sein als Nike.
Damit offenbart das Mode-Kunst Kollektiv, so wie auch beispielsweise der zuweilen aus finanzieller Not geborene Chic von Berlin-Friedrichshain und Kreuzberg, ein im konsumistischen Kapitalismus wohlgehütetes Geheimnis: alles beginnt mit dem Menschen.
Es wird eine „Post-Marketing“ Ära eingeläutet, in der der state of mind wichtiger ist als die Brieftasche.
Der erwähnte „Spass“ wird immer mehr zu einer Funktion der individuellen Kreativität, die man sich nicht mehr unbedingt teuer erkaufen muss, im Gegenteil, das menschliche Erfahrungsspektrum von Freiheit, Sinnsuche, Gemeinschaft und Sex wird auf diese Weise erst wirklich authentisch.
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