Da Vinci, Mozart, McQueen

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McQueen Show „Natural Dis-tinction, Un-Natural Selection“ S/S 2009

Der Tod von Alexander McQueen hat weltweit Trauer ausgelöst, denn mit ihm ist nicht nur ein ausgezeichneter Modeschöpfer, sondern auch ein künstlerisches Genie von uns gegangen.
Mode wird schon immer in einem zeitgenössischen sozialen und ästhetischen Kontext präsentiert, seit neuestem aber auch in einem fiktionalen, visionären Zusammenhang, bei Alexander McQueen vor allem vor einem emotionalen, sehr persönlichen Hintergrund gesetzt.
Seine Inszenierungen gingen über ein spektakuläres In-Szene-Setzen von Mode hinaus – was durchaus auch andere Designer und Modenschauproduzenten technisch bis ins kleinste Detail beherrschen – nahmen aber noch darüber hinaus weitere Sphären des Zuschauers jenseits der bloßen Wahrnehmung ein: die der Sinngebung und Interpretation.

Um seine Inszenierungen zu verstehen, ist Vorwissen notwendig, bzw. sogar Recherche im Nachhinein. Solche Recherchen betreffen die Entschlüsselung der Kollektionstitel (z.B. Lösen von Anagrammen), autobiographische Bezüge sowie seine Kunst- und Kulturinteressen, das Aufdecken von Querverbindungen zu anderen Designern, Modeikonen, historischen Persönlichkeiten, Film-, Mythologie- und Literaturinhalten, von Referenzen zu seinen früheren Modenschauen und von der Bedeutung des Modenschauortes oder einzelner Requisiten.

Alexander McQueen wollte nicht nur den Zuschauer schockieren, wie es vielleicht sein Status als enfant terrible suggerierte, sondern seine Modenschauen als Anregung von Denkprozessen einsetzen, die die Mode trotz ihres vergänglichen Charakters im Gedächtnis verankern sollte.
Er hatte höchste Ansprüche an sein Publikum, denn er war nicht nur Designer, sondern auch Künstler, Cineast, Storyteller, Poet, Philosoph, Soziologe und nicht zuletzt ein raffinierter Psychologe.
Erst durch die Auseinandersetzung mit seinem Werk entsteht und entfaltet sich seine komplexe Idee für die Kollektion und die Modenschau.

Zur Veranschaulichung sei ein Beispiel genannt. McQueens A/W Kollektion 2007 wurde mit „In memory of Elizabeth Howe, Salem 1692″ betitelt.
Im Hintergrund des Laufstegs wurde ein Video gezeigt, in dem sich zuerst nackte verführerische Frauen räkelten und später Insekten und blutige Schädel zu sehen waren; im Vordergrund liefen die Models stark geschminkt auf den Linien eines rotgezeichneten Pentagons.
Erst nach einigen Nachforschungen kann der Zuschauer das Konzept der Inszenierung verstehen: McQueen ist mit mehreren Frauen verwandt, die im Hexenprozess von Salem 1692 zu Tode kamen.
In seiner Show thematisierte er offensichtlich Hexenkult und schwarze Magie, jedoch auch die Verwundbarkeit seiner Familie und lässt somit das Publikum an einer sehr privaten Facette seines Lebens teilhaben.

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McQueen Show “In memory of Elizabeth Howe, Salem 1692” AW 2007 Women

Das Resultat seiner Modepräsentationen wird erst in der späteren individuellen Verarbeitung formuliert – und fällt von Person zu Person verschieden aus.
Wenn man bedenkt, dass der Verkauf von der Klarheit der Botschaft der Kollektion abhängt, ist diese Vorgehensweise ein Wagnis. Aber McQueens Strategie ging auf: er unterschätzte uns nicht, gab uns die Möglichkeit, an seinem Schaffensprozess teilzuhaben.
Und das ist ein garantierter Verkaufshit.

Alicia Kühl