Die Unterwäsche hat einen langen und ereignisreichen Weg hinter sich: Vom Feigenblatt über den Lendenschurz und den Keuschheitsgürtel zum Stringtanga; vom Korsett bis hin zum Push-Up und Victoria’s Secret Shows: Welche Art der uns Menschen nähesten Kleidungsschicht in einer Periode getragen wird, sagt stets auch etwas über die Gesellschaft, ihre Schönheitsideale, ihre Geschlechterrollen aus. Das Drunter entscheidet über Bewegungsfreiheit, sendet sexuelle Reize und stand bisweilen auch für den Geschlechterkampf.
Insbesondere der BH dient als Zeichen der Unterdrückung sowie der sexuellen Befreiung. Bislang wurde geglaubt, der erste Büstenhalter in seiner heutigen Form sei 1912 erfunden worden. Dass dem nicht so sei, behauptet die Textilhistorikerin Beatrix Nutz von der Universität Innsbruck. Dort fand man, auf einem Schloss in Osttirol, Unterhosen und einen BH in einem Fußbodenhohlraum, welche auf den Zeitraum zwischen 1390 und 1485 datiert werden konnten. Das besondere daran: der BH war spitzenverziert, also keine rein funktionelle Vorrichtung, sondern durchaus auch dafür gedacht, gesehen zu werden und zu erfreuen. Doch dann kam ein neuer Wind aus Spanien – das prüde Frauenideal des spanischen Hofes hielt Einzug in die Unter- und Überwäsche sowie die Gesellschaft Europas und Unterwäsche wurde Werkzeug, den Körper zu bändigen, verschnüren, verformen.

Unterwäsche der 1930er und 40er © Lingerie Françaises/Gilles Berquet. Bild via

Unterwäsche der 50er und frühen 60er. © Lingerie Françaises/Gilles Berquet. Bild via.
Doch was ist der heutige Wonderbra anderes als eine Manifestation des derzeitigen Schönheitsideals in stofflicher Form? Was unterscheidet ihn, sagen wir, vom Schnürleibchen, das um 1500 von den Damen Europas getragen wurde, weil die Flachbrüstigkeit des spanischen Hofes mit all seiner Prüderie nun „in“ war? Aus dem Leibchen entwickelte sich anschließend das Korsett, das für Jahrhunderte den Frauenkörper verformte und diktierte – bis es um die letzte Jahrhundertwende abgeschafft wurde. Die erste Welle der Emanzipation der Frau kämpfte für die Hose und gegen das Korsett, die zweite Welle des Feminismus verbrannte den BH – einen gewissen Symbolwert kann man der Unterwäsche kaum abstreiten.

Dita von Teese für Wonderbra. Bild via.
Die Unterwäsche dient seit jeher aber nicht nur dem Schutz oder dem Verbergen der Scham. Der Lustgewinn, den ein zartes Stöffchen, das eigentlich im Verborgenen bleiben sollte, mit sich bringt ist ebenso Aufgabe der Dessous, wie das in Form halten der jeweilgen Körperpartien. Das gilt nicht nur für den BH. Auch die Jockey, die heute „klassische“ Herrenunterhose, erregte 1934 Aufsehen mit ihrer eng anliegenden Form. Als diese auf der Unterwäsche-schau in Chicago präsentiert wurde, unter einem durchsichtigen Zellophan-Smoking, stockte der Welt der Atem. Heute würde man den Shockvalue mit drei Buchstaben abkürzen: TMI, Too Much Information.

Die Jockey wird bei der Chicagoer Unterwäsche-Schau vorgestellt. Bild via.
Erfunden von Arthur Kneibler für Cooper’s, ein amerikanisches Unternehmen, eroberte der Slip aber schnell die Welt, wird heute in China und Afrika genauso getragen wie in den USA und Europa. Seine Vorzüge liegen auf der Hand: Passt, wackelt und hat Luft, oder so ähnlich. Weiterer Fun-Fact zur Herrenunterwäsche: der Eingriff, den laut diesem Autor noch nie Mann benutzt hat, wäre längst ausgestorben, wenn nicht 70% der Frauen die Unterwäsche für ihre Männer kaufen würden.

Jockey-Werbung mit Jim Palmer, 1976.Bild via.
TMI, das gilt auch für den (String-)Tanga, der in den 90ern in Mode kam, zusammen mit den Lowrider Jeans, die die Welt Alexander McQueen zu verdanken hatte, und häufig in Erscheinung tretend zusammen mit ihrem BFF, dem Arschgeweih, zu englisch auch unter dem klingenden Namen Tramp Stamp bekannt. Dieses Ministückchen Stoff legte eine steile Karriere hin und verschwand ebenso schnell wieder in den Schubladen, nicht ohne eine gehörige Menge peinlicher Fotos und (fremd-)beschämender Erinnerungen zu hinterlassen.

String Tangas der 2000er. © Lingerie Françaises/Gilles Berquet. Bild via.
Die Geschichte der Unterwäsche, hier sicherlich nur angerissen, begleitet die Menschheit seit Anbeginn der Zeit. Vom ersten Kleidungsstück sozusagen, dem Feigenblatt, der Erfindung der Scham im biblischen Schöpfungsmythos, bis hin zur beinahe-Abschaffung selbiger an den Stränden der Copacabana oder auf Plakatwänden der Metropolen – die Unterwäsche ist ein Spiegel der menschlichen Entwicklung und der jeweilig vorherrschenden Definition von körperlicher Schönheit, sowie ein Mahnmal ihrer Irrwege.