Mode-Kuration: Interview mit Nathalie Herschdorfer

Norman Parkinson, Glamour, October 1949 © Norman Parkinson Limited

Norman Parkinson, Glamour, October 1949 © Norman Parkinson Limited, Detail,                                 Aus: Zeitlos Schön 100 Jahre Modefotografie

Nathalie Herschdorfer ist Kuratorin und Historikerin im Bereich der Fotografie und beschäftigt sich im Rahmen dessen auch mit Modefotografie. Sie verantwortetete neben einer Retrospektive über Edward Steichen auch die Ausstellung „Zeitlos Schön – 100 Jahre Modefotografie„, über Modefotografie aus den Archiven Condé Nasts, die auch im C/O Berlin zu sehen war und bald nach Paris kommt. Sie ist außerdem Direktorin der Schweizer Fotografiefestivals Alt.+1000 und publiziert Bücher zum Thema Fotografie. Modabot sprach mit ihr über ihren Lebenslauf, die Probleme, die sich bei der Oranganisation einer Ausstellung auftun und über das Ansehen der Modefotografie in der Kunstszene.

Modabot: Wie sind Sie zur Kuration gekommen?

Nathalie Herschdorfer: Ich studierte Kunstgeschichte und schrieb meine Abschlussarbeit über Fotografie. Anschließend wurde ich von einem Fotografiemuseum in der Schweiz eingestellt, dem Musee de l’Elysee, um an einer historischen Ausstellung zu arbeiten. Das war meine erste Arbeitserfahrung. Ich bekam noch einen Auftrag am selben Museum, für eine andere Show, und so ging es weiter. Schließlich wurde ich zum Head of Exhibitions befördert und arbeitete dort für zwölf Jahre. Ich hatte Glück.

Nathalie Herschdorfer, 2012 ©Hee Jin

Nathalie Herschdorfer, 2012 ©Hee Jin

Modabot: Warum Fotografie?

Nathalie Herschdorfer: Während meines Kunstgeschichtestudiums wurde mir klar, dass ich mehr an Design und Fotografie interessiert war, als an Gemälden oder Skulptur. An die Fotografie herangeführt wurde ich aber durch das abgedruckte Bild, nicht durch Ausstellungen.
Meine Masterarbeit beschäftigte sich mit  der Fotografie in dem Schweizer Magazin „Du“ und dessen Art des Einsatzes von Fotografie. Es war eine fantastische Art, die Geschichte des Mediums zu entdecken und eine Generation von Fotografen kennenzulernen, die durch das Magazin entdeckt worden waren (Werner Bischof, Henri Cartier-Besson, Bruce Davidson, Robert Frank). Man sah sie dort als Künstler und das Magazin gab ihnen das gleiche Gewicht, als wären sie Picasso oder Dali. Während meiner Recherche kontaktierte ich so viele Fotografen wie möglich, und das war ein hervorragender Weg, die Fotografieszene zu betreten.

Das Schweizer Magazin "Du"

Das Schweizer Magazin „Du“

modabot: Was fasziniert Sie am meisten an Edward Steichen?

Nathalie Herschdorfer: Er hatte so viele verschiedene Arten, Fotografie voranzubringen. Er war leidenschaftlich und er wollte diese Leidenschaft für die Kunst mit anderen teilen. Er war absolut überzeugt von seiner Arbeit (Nicht nur als Fotograf, sondern auch als Magazinfotograf und als Kurator). Ich finde ihn faszinierend, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob er eine besonders nette Person war. Das ist aber auch egal. Seine Arbeit ist sehr interessant und er schaffte es, sich sein Leben lang neu zu erfinden. Als er beschloss, kommerziell – also für Vogue und Vanity Fair – zu arbeiten, kritisierten ihn all seine Freunde.
Er war ein Mann seiner Zeit: sehr optimistisch seine Kunst betreffend, sowie die moderne Welt.

Photo Edward Steichen, Vogue, January 1, 1936, Bild via

Photo Edward Steichen, Vogue, January 1, 1936, © 1936 Condé Nast

Modabot: War Modefotografie für ihn nur ein Weg, Geld zu verdienen? Wie dachte er über die verschiedenen Sujets?

Nathalie Herschdorfer: Ein berühmtes Zitat von ihm lautet, er könne die Vogue in den Louvre verwandeln. Er war wirklich überzeugt davon, als Künstler seinen Blick auf die Dinge den Lesern des Magazins näher bringen zu können. Er wollte gute Bilder machen, und ja, er verdiente viel Geld, aber er arbeitete auch viel und versuchte, sich nie zu wiederholen. Das war harte Arbeit: er musste Monat für Monat, fünfzehn Jahre lang, neue Bilder produzieren. Modefotografie konnte sehr langweilig für ihn sein, doch er ließ all seine Kreativität und Energie einfließen.

Modabot: Wie kamen Sie in Kontakt mit Condé Nast?

Nathalie Herschdorfer: Das war während meiner Recherche für die Steichen-Retrospektive. Zusammen mit meinen Co-Kuratoren, William Ewing und Todd Brandow, wollten wir die Archive besuchen und unbekannte Bilder finden, die einen Teil der Geschichte zeigten, welche man noch nicht kannte. Wir kontaktierten Condé Nast und fragten nach „Steichen-Bildern“, ohne spezifische Bilder im Kopf zu haben. Es war eine Freude, diese „alltäglichen“ Bilder zu entdecken, nicht die bekannten Celebrity-Portraits, die in der MoMa Collection zu finden sind.

Edward Steichen, Marlene Dietrich, 1932. Bild via

Edward Steichen, Marlene Dietrich, 1932. 

Modabot: Welche Probleme stellten sich bei der Organisation der Steichen-Retrospektive?

Nathalie Herschdorfer: Insbesondere die Masse an Bildern, und daraus auszuwählen. Er hatte so viele verschiedene Stile, so viele verschiedene Themen, es war schwierig, einen Zusammenhang in all diesen verschiedenen Arbeiten zu finden. Auch war es schwierig, die Anzahl der Bilder zu reduzieren. Es war ein bisschen, als ob man mit fünf verschiedenen Fotografen arbeitete. Wir begannen mit 800 Werken und sortierten auf 400 aus.
Auch war es schwierig, mit den Museen zu verhandeln, die Steichens Werke besaßen. Damals, 2006, gab es eine Auktion bei Sotheby’s: sie versteigerten einen Steichen-Druck für drei Millionen Dollar. Das war die teuerste Fotografie, die jemals versteigert wurde. Die Museen, wissend um den Wert der Werke, begannen natürlich höhere Anforderungen zu stellen was die Ausleihe, Versicherung und Dauer der Leihgabe anging.
Normalerweise ist eine Fotografieausstellung leichter zu bewerkstelligen als eine mit Gemälden. Aber plötzlich mussten wir uns diesen Diskussionen stellen, die man üblicherweise nur bei Gemälden von Picasso hat. Das war sehr ungewöhnlich für uns Fotografiekuratoren.

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John Rawlings, American Vogue, August 1944 © 1944 Condé Nast;
Aus: Zeitlos Schön – 100 Jahre Modefotografie

Modabot: Wie unterschieden sich die Probleme der Steichen-Ausstellung von denen der Condé Nast-Ausstellung?

Nathalie Herschdorfer: Die Ausstellung war viel einfacher, weil die meisten Drucke aus den Condé Nast-Archiven kamen. Da gab es also keine Grenzen in Sachen Ausleihdauer beispielsweise. Der organisatorische Part war viel einfacher. Aber auch hier mussten wir wieder eine strikte Auswahl treffen. Die Arbeit eines Kuratoren ist stimulierend, aber auch hart.

Modaot: wie sehen die Condé Nast-Archive aus?

Nathalie Herschdorfer: Riesige Archive mit Millionen von Bildern in Boxen (Vintage Prints) oder in Kühlfächern (Dias). Alle Bilder sind nach Publikation geordnet, nicht nach Fotograf. Wenn man also eine Box öffnet, findet man alle Bilder, die 1923 veröffentlicht wurden. Dadurch entdeckten wir zum Beispiel eine Man Ray-Fotografie unter all den anderen Bildern!

Diane Arbus, Glamour, May 1948, Copyright Condé Nast

Diane Arbus, Glamour, May 1948, © 1948 Condé Nast.
Aus: Zeitlos Schön 100 Jahre Modefotografie

Modabot: Ernten Sie oft Arroganz oder Abneigung von Kollegen, weil Sie sich mit dem Thema Mode beschäftigen? Wie wird das Thema in der Kunstszene betrachtet?

Nathalie Herschdorfer: Heute viel weniger als noch vor zehn Jahren. Modefotografie wird mehr und mehr geschätzt. Die meisten großen Museen hatten ihre Modeausstellungen (Metropolitan Museum, Tate, etc.) Modefotografen sind heute viel angesehener: Irving Penn, Richard Avedon, Guy Bourdin, Helmut Newton, und viele weitere.
Daher ist es heute viel einfacher, sich inhaltlich mit Modefotografie zu beschäftigen, aber ich würde nicht behaupten, dass alle Modefotografie auch Kunst ist. Es gibt wirklich gute Künstler, die Modefotografie betrieben haben, aber auch viele uninteressante Bilder.
Modefotografie kann leicht ins Seichte und Überflüssige abrutschen.

Erwin Blumenfeld, American Vogue, March 1945, © Condé Nast;

Erwin Blumenfeld, American Vogue, March 1945, © 1945 Condé Nast;
Aus: Zeitlos Schön 100 Jahre Modefotografie

Modabot: Was hat sich in den letzten Jahren in der Kuration getan, und was ist die Zukunft der Kuration?

Nathalie Herschdorfer: Schwierige Frage. Als ich anfing, auf dem Gebiet zu arbeiten, wurde Fotografie in Rahmen und Passepartouts präsentiert. Heute kann man Fotografien in Rahmen, oder als Tapete, oder als Buch, oder auf dem Bildschirm präsentieren. Es macht Sinn, mit diesen verschiedenen Darstellungsmöglichkeiten zu arbeiten, aber sie stellen auch eine zusätzliche Herausforderung dar, wenn es darum geht, eine Ausstellung vorzubereiten.
Als ich anfing, machte man seine Recherche in Büchern über Fotografie, in den Kollektionen von Museen, in Galerien oder in Privatsammlungen. Und heute? Heute gibt es Flickr, Instagram, das gesamte Internet und die Millionen an Bildern, die dort herumschwirren. Ich weiß nicht, ob das die alleinige Zukunft der Bildrecherche für Kuratoren ist, aber wir können diese Möglichkeit sicherlich nicht ignorieren und weiterhin so tun, als ob die Werke weiterhin ausschließlich in physischen Orten gelagert würden, wie das in der Vergangenheit der Fall war.

Modabot: Vielen Dank!