Zeit für neue Stil-Ikonen

Kirsten Dunst in Sophia Copolas Film Marie Antoinette

Kirsten Dunst in Sophia Copolas Film Marie Antoinette

Eine große Rolle in der Ideenfindung eines jeden Designers spielt eine Frau – die Muse. In romantischer Verklärung schaffen sich die Modeschöpfer eine Frau, die für sie die neue Weiblichkeit (oder die Weiblichkeit schlechthin) darstellt; sie ist der Ausgangspunkt vieler Kollektionen. Doch die Muse, ähnlich wie die Mode des 21. Jahrhunderts, scheint in der Dauerschleife festzuhängen. Immer wieder werden die selben Damen für den bekannten Musenkuss bemüht.
Kristian Barella Greve fordert mehr Variation im modischen Ideal-Frauenbild.

Florence-And-The-Machine-005

Florence and the Machine, Ceremonial Album Cover

In den letzten Hundert Jahren der Mode- und Kostümgeschichte erlebten wir einen interessanten Trend: zwar gibt es Damen, die tatsächlich in Kontakt mit den Designern stehen: Daphne Guinness, Florence Welsh oder Beth Ditto sind in der Hinsicht Paradebeispiele – doch lange hält die Bewunderung nicht an, zu schnell und intensiv wird die Muse durch die (Massen-)Medien gejagt, sodass sie Anziehung und Glanz verliert. Daher müssen historische Figuren herhalten, die, recht eindimensional, die Zeiten überdauert haben, aber auch – weil sie nicht mehr widersprechen können – schier unbegrenzt Fläche zur Interpretation bieten.

Designer bedienen sich immer wieder vergangener Epochen und somit auch antiker Frauenbilder um „Neues“ zu schaffen.
Es wird der Größe und dem Glamour vergangener Tage nachgetrauert, die Mode ist aber nicht mehr ein elitärer Klub der von Aristokratinnen, der Haute Bourgeoisie und Künstlerinnen regiert wird. Die Demokratisierung ihrer Grundstrukturen fordert, dass eine breite Masse die Muse kennt.
So biegen und brechen die Modeschöpfer das Bild dieser Frauen so lange bis dieses ihrem neuen Markt und einer verkaufbaren Ästhetik entspricht.

Madonna beim MTV Video Award 1990

Madonna beim MTV Video Award 1990

Ein gutes Beispiel dafür ist Marie-Antoinette.
Die letzte wahre Französische Königin wurde 2006 zum Vogue Cover, verkörpert von Kirsten Dunst, die in dem Kostümfilm Sophia Coppolas die junge Habsburgerin spielte. Marie Antoinette wurde auch von Jean-Paul Gaultier auf Madonna umgemünzt, welche bei den MTV-Music Award als Dauphine auftrat und sinnlich „Vogue“ trällerte. John Galliano, von Haus aus den Hang zum pompösen habend, und somit sozusagen Seelenverwandter der dekandenten Adligen, bemühte den Glamour der Königin wiederholt für seine Kollektionen.
Die französische Königin ist Grundlage tausender Videotutorials, die entweder die gepuderte Blässe oder die voluminösen Perücken mit den Mitteln unserer Zeit zu kopieren versuchen. Und selbst Vivianne Westwood brachte eine Punkversion der Adligen heraus.
Das selbe Lied könnte man über Cleopatra, Madame Butterfly oder Königin Elisabeth die Erste singen.

Jackie Kennedy Onassis

Jackie Kennedy Onassis

Es gleicht einem faden Abgesang wenn schon wieder eine Kollektion Audrey Hepburn über den Laufsteg marschieren lässt; wenn, statt eine neue Muse zu finden, wieder mal bei Louis Vuitton eine Jacky Kennedy Onassis die Rolltreppe herunterstolpert. Es kommt das Gefühl auf, dass sich die Kreativen nicht mehr ihrer gesellschaftlichen Rolle bewusst sind und aus Verlegenheit die gleichen Ideale instrumentalisieren, immer wieder die gleichen Rollenbilder bestärken.
Dabei gäbe es so viele starke, smarte, interessante Vorbilder, die man zur Abwechslung zu Rate ziehen könnte.

Theda Bara als Cleopatra

Theda Bara als Cleopatra

Zum Beispiel Theda Bara, amerikanische Stummfilmschauspielerin der frühen Zwanziger Jahre, die durch ihre Präsenz und ihre Ausstrahlung das Schönheitsideal der „Flapper-Zeit“ einfach obsolet machte.
Sie war vollschlank, weiblich und mysteriös und verschaffte sich somit als eine der ersten das Image eines wahren Sexsymbols und Vamps.
Da es ihr aber nicht gefiel, ständig in diese Schublade gesteckt zu werden, ließ sie ihren Fünfjahresvertrag mit Fox auslaufen und suchte sich anschließend vielseitigere Rollen aus.

Simone de Beauvoir

Simone de Beauvoir

Als Intellektuelle bietet sich Simone de Beauvoir an. Die Frau wusste sich so zu kleiden, dass Männer sie Ernst nahmen und ihre Thesen waren so neu, dass die Selben sie sogar kopierten oder diese, wie so oft in der Geschichte, von ihr stahlen. Des Weiteren hatte sie ihren Stil so konsequent durchgehalten, dass ihre Silhouette, speziell die Frisur, zu ihrem Markenzeichen wurde.

Ethel Mary Smyth

Ethel Mary Smyth

Wenn man schon bei starken und einflussreichen Frauen ist, liegt doch Ethel Smyth, die Mitbestreiterin der Suffragetten-Bewegung und Komponistin nahe.
Sie war eine Freundin von Tschaikowski und prägte die Uniform der Suffragetten, welche wiederum der Urahn des Powersuits der 1980er war.

Kaiserin Theodora I

Kaiserin Theodora I

Wenn es einem aber als Designer wichtig ist, den Glanz der Monarchie oder gar nur der Aristokratie zu beanspruchen, sollte man eher den meterdicken Staub von vergessenen Dynastien wischen, als den Glanz der Bekannten zu überanstrengen.

Dafür kann man weit zurück in die Zeit reisen und die Gattin des oströmischen Kaisers Justinian als Muse nehmen. Kaiserin Theodora war bevor sie Kaiserin des größten Reichs ihrer Zeit wurde, eine Erotiktänzerin und Prostituierte.
Ihre Pretty-Woman-Geschichte endete aber nicht mit der Hochzeit, sondern damit, dass sie ihrem Gatten, als er fast abgesetzt wurde, durch ihre List und Intelligenz den Thron zurückgewann. Sie wird, ähnlich wie Kleopatra, von den Chroniken der Zeit als wunderschöne aber hinterlistige Frau dargestellt, die es liebte, im Luxus und Überfluss zu leben.

4437260321_09933793e2_o

Katharina die Große

Katharina die Große, Königin Anne, Maria Theresa Habsburg von Österreich, Königin Margot von Frankreich – alle diese Frauen hatten ein sehr starkes Bewusstsein für die repräsentative Macht der Mode und tragen auch das Renommee, Altbekanntes zu verwerfen und Neuerungen voran zu treiben.
Sie schufen mit ihrer Einstellung Neues, genauso wie die Dauphine von Frankreich, nur hat sich scheinbar niemand die Mühe gemacht, ihren stilistischen Werdegang zu analysieren oder sich mit diesen Frauen tatsächlich auseinanderzusetzen.

Leonard of London gibt Twiggy neuen Haarschnitt

Leonard of London gibt Twiggy neuen Haarschnitt

Gerade im aktuellen Zeitalter des Wandels und Umbruchs sollte jungen (Frauen-)Generationen mehr Auswahl an Rollen- und Stilvorbildern geboten werden als eine Handvoll.
Die Geschichte und die Gegenwart haben eine Fülle an Arten des Frauseins zu bieten, warum also immer auf den selben alten Kamellen herum kauen?
Es wird Zeit, neue Referenzen in der Mode zu schaffen, und das ist nun wirklich keine Kunst.
Die Schönheit der Musen ist doch, dass es in der Geschichte und im täglichen Leben viele Frauen gibt, die es verdient haben in den Fokus der Modemacher zu treten.
Dann wird es vielleicht auch wieder etwas mit dem „Neuen“ in der Mode.