Die in Italien geborene Vanessa Beecroft weiß mit ihrer Kunst zu polarisieren. An der Grenze dessen, was man weitläufig als guten Geschmack definiert, zwischen Kunst und Mode, weist sie Konventionen und gesellschaftliche Tabus auf, die sonst durch Institutionalisierung unsichtbar geworden sind.
Ihre Installationen und Performancestücke, oft bestehend aus nackten Frauen inszeniert im Raum, stellen die Situation der Frau in Modebusiness, Kunst und Gesellschaft allgemein in Frage.
Konventionen der Darstellung von Nacktheit, insbesondere des weiblichen Körpers, werden in Beecrofts Projekten bloßgelegt. Traditionell ist der Künstler männlich besetzt, das Modell weiblich, und das Machtgefälle zwischen beiden klar definiert. Er schaffend, sie inspirierend; er aktiv, sie passiv; er mit Agenda, sie ohne. Ähnlich verhält es sich mit den, oft männlichen, Modedesignern und deren Models und Musen in einer ansonsten Branche, in der zwar deutlich mehr Frauen arbeiten.
Diese patriarchalen, oft unterbewusst ablaufenden Prozessen bricht Beecroft auf, wenn sie eine Armee mehr oder weniger bekleideter Modelle im Museum auf eine Treppe stellt, in schmerzhaften High-Heels, den neugierigen Blicken der Besucher preisgegeben, oder sie nackt, weiß angestrichen, wie Marmorfiguren auf Podeste legt.
Die Individualität der einzelnen Person geht dabei unter, der Wert des Geistes weicht der Wertschätzung des Körpers – eine Stellungnahme zum historischen und aktuellen Stand der Frau und ihres Körpers in der Gesellschaft, sowie in Kunst und Mode.
Das Modell, heute oft gefeierte Celebrity, aber auch ein entrechtetes Wesen, das fürs Funktionieren – zugegeben, sehr gut – bezahlt wird, das aber dafür auch Tag und Nacht arbeitet, wartet, trainiert, hungert. Diese unsichtbare Schattenseite des glamourösen Modellebens wird ein wenig transparenter gemacht in Beecrofts Performances.
Dem Publikum wird außerdem durch diese Art der Aktionen der eigene Voyeurismus vor Augen geführt. Die traditionell reglos abgebildete Schönheit, die mit Blicken konsumiert werden kann und soll, ist hier ein Mensch aus Fleisch und Blut, der leidet, sich vielleicht schämt, oder gar erschöpft zusammenbricht.
Dennoch kann und will man die Augen nicht abwenden, schöne Körper sind eben schön anzusehen, ungeachtet der bekannten Problematiken – Eine Mikro-Abbildung der systemischen Problematik warum die Forderung der Abschaffung von Magermodellen nicht durchsetzbar ist.
Sie machen es doch schließlich freiwillig.
Gefühle und Regungen wie Sadismus, Erregung, Intoleranz, aber auch Mitleid und Altruismus werden in dieser Szenerie angesprochen und machen so den Schaulustigen einiges über die „Human Condition“, das menschliche Wesen, klar.
Diesen Effekt, sowie die angesagte Vermengung von Kunst und Mode, machte sich auch der französische Luxuswarenhersteller Louis Vuitton zu Nutze, der Beecroft 2005 für die Eröffnung des Stores an der Champs-Elysees engagierte.
In „Seeing Through Clothes“, einem modetheoretischen Standardwerk, argumentiert Anne Hollander, dass Moden historisch auch den darunter liegenden, nackten Körper verändern und beeinflussen. Wenn Rundungen in Kleidung in waren, so reflektierte sich dies auch in den zeitgenössischen Aktmodellen, wenn eine schmale Silhouette angesagt war, so wichen auch die nackten Kurven. Eine Korrelation, die bis heute ungebrochen scheint.
Die Kleidung, unsere soziale Haut, diktiert auch dem nackten Körper seine Form, ihre Inszenierung in Fashionshoots, wie das Video unten zeigt, prägt Gestik und Mimik, definiert, was als sexy wahrgenommen, was als Norm und als Abweichung davon zu sehen ist.
Die Auseinandersetzung mit Beecrofts Werk ist hier selbstverständlich nicht ausgeschöpft, die verschiedenen Schichten an Bedeutung allerhöchstens oberflächlich angekratzt.
Fest steht jedoch, dass der weibliche Körper, und insbesondere der des Models, ein politischer, theoretischer und realer Battleground ist, auf dem die letzte Schlacht über gesellschaftliche Normen längst noch nicht geschlagen ist.