Foto: James Casalena
„Wer schön sein will, muss leiden“ ist eine gängige Binsenweisheit im deutschsprachigen Raum, das englische Pendant „beauty knows no pain“ negiert zwar den Leidenspart, bedeutet aber letztendlich dasselbe: Schönheit und Schmerz sind eng miteinander verknüpft. Die Mode, insbesondere aber die Modefotografie, zehrt häufig vom Spannungsverhältnis zwischen Leid und Schönheit, vom Hingezogen- und Abgestossensein des Betrachters, von Begehren und Selbstprojektion, vom Erwecken von Verlangen und dem Traum von einem besseren Leben durch einen schöneren Körper.
Seit jeher verändern Menschen ihre Körper im Namen der Schönheit: Tätowierungen, Skarifizierungen (Scarrings) oder Lippenteller und Piercings bei afrikanischen Völkern und Stämmen, das Feilen und Schwärzen von Zähnen, das vermeintliche Strecken des Halses durch Halsringe, die Tradition des Lotosfußes, erzielt durch Footbinding, bei einigen asiatischen Völkern, bis hin zum High Heel und Korsett der westlichen Kultur – überall werden und wurden langwierige und schmerzhafte Prozeduren ertragen, um die individuelle Schönheit zu steigern.
Um die letzte Jahrhundertwende, zum Zeitpunkt des Aufkommens der Modebranche im heutigen Sinne und etwa zeitgleich mit der Abschaffung des Korsetts, begann sich das Schönheitsideal zu wandeln. Von der blassen Schönheit, aufgrund des Eingeschnürtseins meist kränklich und kaum im öffentlichen Raume aktiv, begann Schönheit mit Aktivität und Vitalität assoziiert zu werden. Tennis, Schwimmen und Golf, sowie Autofahren und Tanzen wurden zu Freizeitaktivitäten, an welchen nun auch Frauen teilnehmen konnten. Dennoch war eine schmale Silhouette weiterhin das Ideal. Da nun das Korsett nicht länger den perfekten Körper vorgaukeln konnte, kamen Diäten und körperliche Ertüchtigung in Mode.
Die Verfügbarkeit von und der Anstieg von Werbeanzeigen für Kosmetikprodukte zur selben Zeit deutet auf eine veränderte Wahrnehmung der Manipulierbarkeit des eigenen Körpers hin. Während Make-up vorher nur sogenannten „demi-mondaines“, Schauspielerinnen und Prostituierten vorbehalten war, konnten nun alle Frauen stärker Einfluss auf ihr Äußeres nehmen.
Der schöne Körper blieb aber weiterhin der disziplinierte Körper, es hatte sich lediglich die Methode, diesen zu erreichen, geändert. Heute dominieren noch immer diese Mittel der Körperkontrolle, wenn auch weitere hinzugekommen sind. Schönheitsoperationen machen es möglich, den Körper nach eigenen Wünschen neu zu modellieren und gestalten. Scheinbar endlos sind die Möglichkeiten, den Körper zu zähmen, zu kontrollieren, zu perfektionieren.
Die Mode gibt dabei der Schönheit stets den Rahmen vor. Was früher Gemälde mythischer Schönheiten oder Statuen griechischer Göttinnen waren, nämlich Bildnisse körperlicher Perfektion, übernehmen heute Modemagazine mit ihren Versprechen des erreichbaren Glücks durch Konsum. Die Traumwelten, die die Mode in Editorials und Werbeanzeigen für die Massen zeichnet, scheinen stets nur ein paar Kilo oder eine Nasenkorrektur entfernt.
Doch selbst die Schönsten der Schönen kommen nicht ohne Leid aus. Models, die Personifizierung der Schönheit, leiden vor und hinter der Kamera für ihren Beruf. Stundenlanges Warten, Casting-Marathons, Einsamkeit, Körperpflege wie Waxing oder das Zupfen der Augenbrauen, sowie strenge Diäten und Sport sind ein Teil des Modellalltages, der zum Großteil verborgen bleibt.
Sobald gebucht, geht das Leiden weiter: stundenlanges Sitzen in der Maske, tränende Augen vom vielen Make-up, Schlafmangel während der internationalen Modewochen, laufen in zu engen Schuhen oder anstrengende Posen vor der Linse des Fotografen.
Das Resultat, die gelungene Modenschau oder das Editorial in der Zeitschrift erzählt von all dem nichts, negiert also die Anstrengungen und Schmerzen – für das ewig Schöne, den perfekten Moment.
Fotos: James Casalena
Wenn auch die Essenz der Schönheit bisher weder von Philosophen, noch von Wissenschaftlern eindeutig ausfindig gemacht und definiert werden konnte, bleibt doch festzuhalten, dass sie zweifelsfrei existiert, abhängig von Kulturkreis und einem zeitlichen Wandel unterworfen ist. Eine Konstante der Schönheit jedoch scheint von Alters her der Schmerz zu sein.