Die Meinungen über das musikalische Talent von Lady Gaga scheiden sich – während sie zum einen vom Videoregisseur Jonas Akerlund als neue „Queen of Pop“ und Nachfolgerin von Madonna angekündigt wird, klingt ihre Musik für Konkurrentin M.I.A. wie aus einer „20 Jahre alten Ibiza Disko“.
Keiner wird jedoch bestreiten, dass Stefani Joanne Angelina Germanotta in Bezug auf Ihren exzentrischen, avantgardistischen und provokanten Stil Madonna und anderen Fashionikonen in punkto Innovation um nichts nachsteht.
Lady Gaga will nicht empören, denn „nur für Menschen, die ohne Mut und Fantasie durchs Leben gehen, ist mein Stil ein Schock“, wie sie in einem Interview erklärt. Nichtdestotrotz arbeitet sie an einem außergewöhnlichen Gaga-Look, indem sie beispielsweise prominente oder klischeebehaftete Outfits zitiert und parodiert.
Und, wie sie öfters betont: Sie entwirft Ihre Bühnenoutfits selbst.
li: Madonna im legendären Jean Paul Gaultier-Body; re: Lady Gaga in Marc Jacobs
Nun stellt sich die Frage, ob Lady Gaga gänzlich hinter ihrem eigens erschaffenen Gesamtkunstwerk verschwindet, oder ob sie tatsächlich „so“ ist. Als sie noch als Stefani Germanotta performte, war sie schon stimmlich außergewöhnlich, hatte aber bei weitem nicht so ein Gespür für Extravagantes (z.B. ihr beeindruckender Auftritt bei der NYU Talent Show 2005). Mit der steigenden Extravaganz der Performance und Kleidung scheint jedoch auch die Songwriter-Qualität ihrer Musik zu schwinden (vgl. die Artikelüberschrift: Zeile aus ihrem Lied „Fashion“). Oder, anders formuliert, der Erfolg kam erst mit der physischen Wandlung, und die Musik veränderte sich dazu analog, so als ob entweder nur das eine oder das andere die Oberhand haben könnte.
Gaga selbst erklärt über ihr „altes“ Ich: „She’s not here anymore. She’s covered in sequins.“
Lady Gaga auf einer Pressekonferenz
Laut Gaga verhält es sich bei Ihrem neuen Ich so, dass mit der Idee zu ihrer einfachen Musik (wie sie selbst zugibt) gleichzeitig die Ideen zur Bühnenshow und zum Bühnenkostüm kommen, sozusagen als kreatives Ganzes. Interessant, dass aus solch simplen bis platten Texten so komplexe Kreationen entstehen können.
In Interviews nennt sie ihre zahlreichen Inspirationsquellen wie „brainstorming with my friends, going on youtube, watching old movies and reading fashion magazine imported from Europe“, Pop-Art, New Wave, Kubismus, „moonlight, sex, slasher films and pornography“, der venezianische Maskenball, Flohmärkte, Zeitunglesen sowie „ice princesses and magical angels“.
Sie bewundert Musiker wie Madonna, David Bowie, Michael Jackson, Freddie Mercury, Cyndi Lauper oder Roisin Murphy, die Schauspielerinnen Marily Monroe, Grace Jones, Peggy Bundy, die Modeschöpfer Alexander McQueen, Viktor&Rolf, Donatella Versace, Vivienne Westwood, bekannte und historische Persönlichkeiten wie Marie Antoinette oder Beethoven, Künstler wie Andy Warhol, Quentin Tarantino, Montaigne und Rilke.
Dabei übernimmt sie nicht nur kleinere Details sondern ganze Bühneninszenierungen, Kleidungs- und Accessoireskombinationen, sowie Szenen für Videoclips, was ihr ständig den Ruf einer copycat einbringt.
Wenn alles schon mal da war, aus welchem Grund zieht Gaga dann weltweite Aufmerksamkeit auf sich? Wie kommt es zum Gaga-Hype?
Damit kommt man zu ihrem Modekonzept, was grundlegend darin besteht, möglichst viele Zitate möglichst offensichtlich in einem unpassenden Kontext zu präsentieren. Auch haben bereits andere Künstler mit ihrer Körperinszenierung Aufmerksamkeit hervorgerufen – jedoch sind die meisten bestrebt, im Kontext des Geschehens zu bleiben. Dita von Teese zum Beispiel wird auch als Gesamtkunstwerk bewundert – jedoch setzt Sie ihre Kreativität und Nudität nur gezielt ein und zeigt sich bei offiziellen Veranstaltungen auch -verhältnismäßig- konservativ. Lady Gaga jedoch arbeitet mit dem Überraschungseffekt und damit, gegen Gepflogenheiten, Sitten und Moralvorstellungen zu verstoßen.
So erschien sie beispielsweise bei den Brit Awards 2010 zu Ehren des Todes von Alexander McQueen in einem weißen Outfit des Designers, verlässt in ihrem Videoclip „Telephone“ das Gefängnis in einem Haute-Couture-Kleid, trägt zu einer Pressekonferenz eine Bondagemaske, betritt die St. Basil’s Kathedrale in Moskau nur im knappen Lederkostüm und wird deswegen beinahe verhaftet oder besteigt – so die britische Zeitung The Sun – in London ein Flugzeug ausschließlich mit gelbem und schwarzem Klebeband und blauen High-Heels bekleidet; bei ihrem Videodreh zu „Paparazzi“ wurde sie, um ein makabres Beispiel zu nennen, vom Tod der Prinzessin Diana „inspiriert“.
Ihr Markenzeichen sind besondere Kopfbedeckungen und Frisuren. Neben der nun schon weltweit bekannten und imitierten Haarschleife erschwert sie ihren sowieso schon zierlichen Körper immer wieder mit alltäglichen Gebrauchsgegenständen wie Telefonen und Coladosen, mit riesigen Hüten, Schleiern, Tiernachbildungen, Geweihen, Haartürmen, Masken, Drahtgestellen und Blumenarrangements – beinahe als Fortsetzung der monströsen französischen Haarkreationen aus dem 18. Jahrhundert.
Natürlich will Gaga experimentieren und feststellen, wo Ihre Grenzen und die der Öffentlichkeit sind; nichtdestotrotz wurden in der Vergangenheit künstliche Erhöhungen des Körpers immer dahingehend gedeutet, dass der Träger damit mehr Raum einnehmen und sich somit größer fühlen möchte als er eigentlich ist. Dabei hat Gaga eigentlich gar keinen Grund, sich um Ihre Popularität zu sorgen – viele Prominente, die Ihren Stil nachahmen, die Produktion von Gaga-Dolls, die Ausrichtung von Lady-Gaga Themenparties, die wechselseitige Inspiration mit Alexander McQueen – dies alles deutet darauf hin, dass sie zwar nicht allseits gemocht, jedoch sicherlich allseits rezipiert wird. Im Grunde verfolgt sie ja auch lediglich nur ein kleines Ziel:
„And now, I’m just trying to change the world, one sequin at a time.“
Alicia Kühl
Mehr Eindrücke, wundersame Bilder, Inspirationsquellen und Tips zum Erwerb der verrückten Kleidungsstücke findet man auf www.gagadaily.com/fashion.
Photo Credits:
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