Ein Überblick über die Möglichkeiten Berlins mit zahlreichen Videointerviews
Berlin steht in der westlichen Welt mit einem Schlüsselcharakteristikum fast allein da: Potential.
simpel ausgedrückt bedeutet das, etwas (was auch immer das sei) erreichen zu können, es aber -noch- nicht getan zu haben.
Was ist damit gemeint? An der Grenze zwischen NATO und Ostblock hatte Berlin zwar immer politische Bedeutung, war aber durch seine Insellage inmitten der DDR von einer organischen Einbindung in die BRD ausgeschlossen. Mit dem Fall der Mauer nahm die Geschichte dieser Stadt erneut Fahrt auf, und in den letzten 17 Jahren konnte die Welt verfolgen, wie sich Berlin immer mehr zu einer Metropole heraufarbeitete.
Die Tatsache, dass dieser Prozess aber noch lange nicht abgeschlossen ist, lässt den aufmerksamen Beobachter voller Neugier ob der Möglichkeiten dieser Stadt innehalten. Man missverstehe diese Anmerkungen nicht; andere Städte haben auch „Potential“, aber Berlin war für eine so lange Zeit in einer künstlichen Begrenzung gefangen, dass die Befreiung davon den immensen Kontrast zwischen „Ist“ und „Kann“ deutlich hat zu Tage treten lassen.
Nun ist das mit dem Potential aber so eine Sache: es garantiert keine Realisierung, oder anders ausgedrückt: es kann ungenutzt bleiben.
Und so steht, oder besser: stand es auch mit der „Modestadt“ Berlin. Es hatte sich seit Jahren eine stabile Situation entwickelt, die die Modestadt konstituierte: viele kleine Labels knapp über oder unterhalb der Grenze zur Profitabilität, wenige profitable Labels, und Messen wie die Bread & Butter, Premium oder die Spirit of Fashion, die sich den Markt teilten. Dieses Gleichgewicht wurde im Jahre 2006 durch zwei wichtige Ereignisse durcheinandergebracht:
-die Einführung des ideal Showroom und der angeschlossenen ideal Fashion Show durch die Betreiberin des Best Shop Berlin, Sumi Ha.
Die ideal war die Manifestation eines immer grösser werdenden Selbstbewusstseins der Mode-Avantgarde, die damit begann, neben der Produktion und dem Einzelhandel weitere Wirtschaftsprozesse in die eigene Hand zu nehmen.
ideal Chefin Sumi Ha über die ideal 3 und die Mercedes Benz Fashion Week Berlin
-der Weggang der grossen Bread & Butter Berlin nach Barcelona und ihr Ersatz durch das kleinere und konzeptionell ambitioniertere BBB KRAFTWERK nach einigen Wochen. Der Weggang der Bread & Butter enttäuschte viele, denen der Geschäftsführer Karl-Heinz Müller bei der Ankunft in der Stadt eine „Modemetropole Berlin“ versprochen hatte. Nun ist Barcelona an der Reihe (letzter Satz des verlinkten Artikels), Modemetropole von Bread & Butter ́s Gnaden zu werden.
B&B Pressesprecherin Danielle DeBie über das BBB KRAFTWERK
Die Reaktionen über die anfängliche Abreise der B&B offenbarten etwas Interessantes: obwohl sich die grossen Berliner Messen mitunter einen verbissenen Wettbewerb geliefert hatten, waren sogar die Premium-Veranstalter -zum Teil- enttäuscht. Der Grund ist klar: um eine relevante Modestadt zu sein, muss eine gewisse kritische Masse an verschiedenen Events erreicht werden.
Während nun alle wieder vereint von „Berlin nach vorne bringen“ sprachen, kam schon die nächste grosse Nachricht:
Mercedes Benz und IMG, Medienkonzern und grösster Veranstalter von Fashion Weeks weltweit, werden vom 12.-15. Juli 2007 die erste „Mercedes Benz Fashion Week Berlin“, einen weiteren Event in ihrem Portfolio von schon existierenden „Mercedes Benz Fashion Weeks“, ausrichten. Hierbei handelt es sich um ca. 12-15 Catwalk-Shows, die in einem eigens konstruierten Bau am Brandenburger Tor gezeigt werden.
Diese Nachricht kommt sicherlich zu einem Zeitpunkt, an dem die Stadt Input gebrauchen kann. Die Tektonik der Modestadt Berlin wird sich durch die Erfahrung und Finanzkraft dieses „modisch-industriellen Komplexes“, der sich für mindestens 10 Fashion Weeks engagieren will, verändern, und nach dem Optimismus aller einheimischen Akteure zu urteilen, kann dies nur zum besseren sein, denn die geballte Medienmacht, die mit Mercedes/IMG kommt, wird das Scheinwerferlicht der Welt auf Berlin richten und die Stadt in jeder Beziehung attraktiver machen.
Aufgabe aller Beteiligten wird es sein, aus dieser Entwicklung das Beste für sich und die Stadt zu machen.
M. Redaelli und D. Leu (IMG) über die Mercedes Benz Fashion Week Berlin
Das Auftauchen dieser global Player trifft aber auch auf eine Stadt, die weltweit nicht als Modemetropole gesehen wird, was leicht dazu führen könnte, dass die „Mercedes Benz Fashion Week Berlin“ die schon angestammte „Berlin Fashion Week“ vollständig vereinnahmt.
Was aber bedeutet das für die Avantgarde Mode, wären nun viele in Anbetracht dieser Entwicklungen geneigt zu fragen, und die Antwort ist einfach, aber nicht zufriedenstellend: man weiss es nicht.
Sogar im Falle eines sensationellen Erfolges der „Mercedes Benz Fashion Week“ ist schwer abzuschätzen, wie sich das auf die Avantgarde Mode auswirken würde. Wohlgemerkt, Umsätze würden generiert werden, mehr Menschen, mehr Einkäufer würden nach Berlin kommen, mehr Menschen würden sich für Berliner Mode interessieren, aber was dann?
Eine vielen Beobachtern bekannte Tatsache ist, dass die grossen Messen in Berlin nur bedingt der erwähnten Mode Avantgarde nützen können und konnten. Avantgarde (was oft genug bedeutet: „unterkapitalisierte“) Labels, haben es tendenziell schwer, ihre Kunden zu erreichen. Das liegt nicht an der schlechten Dienstleistung „Messe“; Messen und Showrooms sind -auch wegen des haptisch-visuellen Aspekts des Modeeinkaufs- essentiell; die Kunden dieser Labels, die Shops, sind jedoch -wie schlussendlich auch die Endkunden- nicht selten selbst „unterkapitalisiert“ und häufig nicht in der Lage, lange Reisen anzutreten, um die Messen zu besuchen bzw. ein breites Sortiment anzubieten.
So kam es, dass man sich beim Gang durch die Hallen der grossen Berliner Messen in denen auch Avantgarde Designer vertreten waren, des Eindrucks nicht erwehren konnte, dass man es eigentlich mit verschiedenen Märkten zu tun hat. Sie sehen sich ähnlich, haben die gleichen Rituale, aber sie weisen profunde Unterschiede auf, die sich einem nicht sofort erschliessen.
Es ist klar: zigtausend Messebesucher in Berlin bedeuten nicht notwendigerweise auch zigtausend Interessenten für Avantgarde Labels.
Hier wird der spezielle Nutzen der „Mercedes Benz Fashion Week“ für Berlin deutlich: Im Gegensatz zu den Messen, die eher „unsexy“ sind, wird dieser Event international Aufmerksamkeit erregen. Das „Branding“, das Berlin im Zuge dieser Ereignisse erhalten wird, ist das Kapital, das die Stadt nutzen kann, um sich weiterzuentwickeln. In diesem Zusammenhang sind für Mercedes/IMG nach eigenen Angaben zwei Dinge wichtig, die diese Veranstaltung besser vermarktbar machen: die örtliche Nähe zum Brandenburger Tor und die grosse Avantgarde Szene Berlins. Ob die Avantgarde dabei nur Staffage im „grand scheme of things“ sein wird, bleibt abzuwarten.
Es gibt keinen Zweifel darüber, dass „Berlin“ international ein kulturelles Gütesiegel ist, das den eigentlichen Wert der Stadt darstellt. Für die Welt ist Berlin die Stadt der Avantgarde, und das könnte tatsächlich der Schlüssel zu einer Zukunft auch als wichtige Modestadt sein.
Im Marketing wird das „unique selling proposition“ genannt, der differenzierende Faktor eines Produkts.
Der New Yorker und Wahl-Berliner DJ LB Bad, sagte einmal „Berlin ist das Hollywood der elektronischen Tanzmusik“, wass nicht nur heissen sollte, dass hier sehr gute Musik produziert wird, sondern auch, dass die Welt auf diese Stadt schaut.
Und genau das ist es, was viele permanent vergessen. Berlin ist schon längst ganz vorne mit dabei, die Stadt weiss es nur noch nicht. Der Grund ist, dass -verständlicherweise- der ganz grosse Erfolg am Umsatz gemessen wird.
Aber hier wird die Sache problematisch.
Denn obwohl viele Designer in der Stadt leben und arbeiten, obwohl der ideal Showroom nun schon zum dritten Mal Aufmerksamkeit erregt, und obwohl seit kurzem mit der AMD eine weitere Modeakademie hinzugekommen ist: man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass im allgemeinen der Wille fehlt, sich auf breiter Ebene offensiv und professionell zu vermarkten, ein Zustand, den auch der Autor Adriano Sack (GQ, Vanity Fair, Welt am Sonntag) in einem modabot-Interview im Februar 2006 bemängelte.
Adriano Sack über die Modestadt Berlin (Ausschnitt)
Gemäß Richard Wagner ́s Diktum „deutsch ist, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun“ könnte es sein, dass viele Modeakteure nicht unfähig, sondern vielmehr unwillig sind, es „unwürdig“ finden, die notwendigen Schritte einzuleiten. Womit wir beim „Geist“, bei der „Mentalität“ der Stadt und des Landes wären, Eigenschaften, die sich nicht mal eben so durch „Entrepreneur“-Kampagnen und Aufrufe zu mehr Wagemut beeinflussen lassen.
Und sogar wenn man zu allem bereit wäre: ein flüchtiger Blick auf den Veranstaltungskalender der Paris Fashion Week offenbart, welch langer Weg noch zu gehen ist, und das auch ohne solche überflüssigen Probleme wie die traurige Unfähigkeit der -wohlgemerkt einzigen- grossen Berliner Modenschauen „ideal Fashion Show“ und „Beck ́s Fashion Experience“ ihre Termine so zu koordinieren, dass sie nicht am selben Tag und zur gleichen Zeit stattfinden, wie es im Januar diesen Jahres geschehen ist.
Es erscheint somit fraglich, ob Berlin, die Stadt der militanten Radfahrer, im Zuge dieser hochinteressanten Entwicklungen eine „Modemetropole“ im üblichen Sinn werden kann und -Achtung- werden will. Denn im Rausch der zukünftigen Grösse könnte man vergessen, dass eine weitere wichtige Voraussetzung, um im Modezirkus, wie er sich derzeit darstellt, ganz vorne mitzuspielen, das Vorhandensein eines räumlich nahegelegenen (Geld-)Adels und angeschlossener Satelliten ist, die bereit sind, die extravaganten Mode-Produktionen zu ermöglichen, die auf die ganze Welt ausstrahlen. Jede Stadt die sich Modemetropole nennen kann, also Paris, London, Mailand, New York verfügt über eine solche Infrastruktur.
Berlin aber verfügt nicht darüber, und so bleibt offen, ob „Glamour“ jemals dort Einzug halten kann.
Berlin kann aber andere Geschichten erzählen, Geschichten, die nicht so sehr mit Geld und Macht zu tun haben, sondern vielmehr mit Anspruch, Innovation, Wahrheit und -herber- Schönheit.
Das kann Berlin sein, und es wäre nicht mal gelogen.
Das Interessante an einer „Positionierung“ im Marketing-Sinne ist nun, dass sie im Kopf des Betrachters entsteht, und so ist es eigentlich ein Glücksfall, dass dieses Bild schon durch die Arbeit unzähliger Künstler erzeugt wurde und tagtäglich perpetuiert wird. Die Stadt braucht keinen Geldadel, keine Wolkenkratzer, keinen Glamour, sie braucht nur einen guten Ruf.
Jeder, der die Banalität des realen Hollywood vor Ort gesehen hat, weiss, was damit gemeint ist.
Wie aber erzeugt, forciert und macht man Geld aus einem guten Ruf?
Das herauszufinden, wird die Aufgabe der ab sofort neu aufgestellten Akteure sein.
modabot wird berichten.
pd_modabot
Fotos: modabot
Bildkommentare:
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Bild 1: ideal Fashion Show Juli 2006
Bild 2: Beck ́s Fashion Experience Januar 2006
Bild 3: Medienteams auf der ideal Fashion Show Januar 2006
Bild 4: Diane Pernet nach der ideal Fashion Show Januar 2006
Bild 5: Sumi Ha im Interview nach der ideal Fashion Show Januar 2006
Bild 6: Modell des geplanten Baus der Mercedes Benz Fashion Week Berlin
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Bild 7: Premium Symposium Januar 2007
Bild 8: von Wedel & Tiedeken Präsentation von „Number Five“ Januar 2006
Bild 9: penkov Plakat
Bild 10: justMariOt Präsentation von „I want to be… Sanssouci“ Januar 2006
Bild 11: Impressionen vom Bread & Butter Studio Juli 2006
Bild 12: Präsentation der Pulver Kollektion „Helen of Troy“ Juli 2006
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Bild 13: Friedjung Shop Berlin Januar 2006
Bild 14: von Wedel & Tiedeken Präsentation von „Number Five“ Januar 2006
Bild 15: Katrin Seiler (cfa) und Katharina Kemmler (BBB Studio) Juli 2006
Bild 16: Mari Otberg (justMariOt) und Enie van de Meiklokjes Januar 2006
Bild 17: Little Red Riding Hood
Bild 18: Svenja Specht (Reality Studio) Juli 2005