Lanvin Kampagne mit 81-jährigem Model 2012
Das Youthquake der 1960er legte die Coolness-Messlatte in Sachen Alter sehr tief. Traue keinem über 30, war damals das Motto, heute sieht die Sache anders aus.
Alter und Reife werden zunehmend cooler, die Modewelt entdeckt die Allure der grauen Eminenz wieder. Iris Apfel, Grace Coddington, Anna Dello Russo, Carine Roitfeld – viele der heute so verehrten Modeikonen und Enscheidungsträgerinnen der Mode stehen (oft weit) jenseits der 50. Granny-Chic ist in und anders als beim Youthquake, Aussehen wie Twiggy, ein kleines Mädchen ohne jegliche Pubertätsanzeichen, versuchen die heutigen Hipster erwachsen, so reif und erfahren auszusehen, wie ihre Großeltern – ergo der Neologismus: Gripster.
Age Reversal Trend Report für 2014, Bilder via Tumblr
Gripster / Granny Chic, Bilder via Tumblr
Die Haarfarbe des vergangenen Sommers: Grau. Rocklänge: Maxi. Die Frisur: Dutt. Die Absätze: niedrig. Ein alter Hut dazu, ein weiter Strickcardigan, Vintageklamotten oder, noch besser, gleich von Omi selbst Geerbtes – Granny-Chic eben.
Blogs wie Advanced Style machen es vor – so geht cool heute. Selbige Regeln sind bei den Herren am Werk: Holzfällerbärte machen auch das milchigste Gesicht zehn Jahre älter, Hornbrillen, der Strickcardigan, Pullunder oder Weste, dazu eine Fliege – man mischt Heritage und Vintage um seriös und lässig zugleich zu wirken.
Männliche Gripster, Bild via Tumblr.
Die Mode ist nicht nur Oberfläche, sie visualisiert auch gesellschaftliche Entwicklungen und Strömungen, lange bevor sie verbalisiert werden. Die rückläufigen Geburtenzahlen in der westlichen Welt, das Älterwerden der Menschen, und die damit einhergehende Neuausrichtung der Werbung auf eine alternde Zielgruppe mag ein Faktor in dieser Entwicklung sein.
Früher war 60 ein Alter, in dem man sich langsam zur Ruhe setzte; Heute ist es ein Moment, um sich neu auszurichten und andere Projekte zu beginnen, das Haus zu verkaufen und das Geld in Abenteuerreisen, Mode oder Kosmetik zu investieren. Diese Perspektivverschiebung kommt nun vielleicht bei den Jungen an.
Age Reversal Trend Report für 2014, Bilder via Tumblr.
Oder der Grund dafür ist in der Spirale von Kultur und Gegenkultur zu finden. Das Retrorad dreht sich immer weiter im Kreis, weil seit den 60/70er Jahren keine wirklich weitreichende Veränderung mehr stattgefunden hat. Die damalige Gegenkultur wird immer noch als cool empfunden, dabei ist sie längst Mainstream.
Die Jeans ist kein Symbol des Widerstandes mehr, sondern auch ein Luxusprodukt.
Rebellion ist kaum noch möglich, Drogen, eine Ausbildung zum Yogalehrer, ein Religionswechsel – alles ist längst gesellschaftlich akzeptiert.
Man vereint so wie Steve Jobs Buddhismus und technologisches Know-How, macht aus einem Hobby ein Milliardenunternehmen wie Ben & Jerry’s, oder verdient mit Kapitalismuskritik Millionen. Das Establishment ist nicht mehr der Feind, die Grenzen und Lager verwischen.
Die Jungen wollen so schnell wie möglich auch dort hin, wo die alten bereits sind.
Juicy Couture Werbung 2007. Bild via Tumblr.
Vielleicht ist es auch Nostalgie, und die Angst vor der sich ändernden Welt, in der man vermutlich nie den Grad an Sicherheit erreicht, den die Eltern hatten. Fester Job, Haus, Familie, die Kategorien und Prioritätetn früherer Generationen scheinen nicht mehr anwendbar. Doch die Vintagekleidung gibt den Anschein, dass alles beim Alten ist.
Selbst die Fotografien, die heute gestochen scharf möglich sind, werden künstlich mit Körnung und Sepia-Filter versehen, fast so, als wolle man sich in eine andere Zeit zurückversetzen.
Alexa Chung, Lena Dunham, granny-chic